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Simona Vinci: Zimmer 411

Es ist vorbei, und sie schreibt ihm in dem Hotelzimmer, wo sie sich meist trafen, einen langen Brief. Es war Liebe, für beide, aber es konnte nicht gut gehen. Vinci formuliert in einer makellos klaren, aber lyrisch dichten Sprache. Die Beobachtungen der Erzählerin – auch von sich selbst – sind von fast schmerzhafter, bisweilen morbider Exaktheit. Der teilnahmslose Perfektionismus, mit dem sie stundenlang im Badezimmer ihre Fassade aufhübscht, steht sinnbildlich für ein abgeklärtes, hochgebildetes Elend, das keine Ursache kennt und von daher zum Selbstmitleid neigt. Dieser Existenzialismus kommuniziert am liebsten mit Zitaten aus Gedichten, Romanen, Filmszenen, rauchend, am Hotelfenster – oder man sagt Sätze wie „Wenn ich dich nicht lieben würde, hätte ich dich schon gefickt“ oder „Benutz mich“. Fast unausweichlich, so die Erzählerin, werde eine Beziehung zum „Versuch, miteinander zu verschmelzen“ und dabei den anderen „zu vernichten, aufzufressen, totzubeißen“. Vielleicht scheitert die Liebe hier aber eher daran, dass die beiden in diesem Buch Verlorene sind, Gespenster. Viel Poesie, wenig Freude.


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Sarah Schwartz: Tokyo Fever

Als die Schauspielerin Kiara auf einer Party Hayato trifft, den charismatischen Sänger einer Rockband, kann sie ihn erstmal nicht ausstehen. Dennoch erwischt ihre Nachbarin sie nur kurz darauf beim Sex mit ihm im Treppenhaus. Während Kiara wild entschlossen ist, es bei diesem einmaligen Faux-pas zu belassen, wettet Hayato, dass er die schüchterne Frau vor laufender Kamera verführt. Der erotische Liebesroman von Sarah Schwartz, der wie der Vorgänger „Tokyo Sins“ in der japanischen Megastadt spielt, lebt von den Wortgefechten der scheinbar unvereinbaren Charaktere Kiara und Hayato, die magisch voneinander angezogen sind. Die mädchenhafte Kiara ist aber nur scheinbar schüchtern, während der Draufgänger Hayato mit wilden Partys gegen seine Gefühle ankämpft.
Zahlreiche Sexszenen vor exotischer Kulisse unterhalten die Leserin aufs beste. Hayato wirkt als überraschend zärtlicher und phantasievoller Liebhaber glaubwürdiger, als das bei einem Durchschnittseuropäer möglich wäre. Ein Buch, das man in einer Nacht durchlesen mag und das sinnliche Gedanken lebendig werden lässt.


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Louisa Burton: Das Schloss der geheimen Wünsche

„Erotischer Roman“, wie es auf dem Cover heißt, ist nur ein Aspekt dieses ungewöhnlichen Genremixes. Die Hauptdarsteller in Louisa Burtons Debütroman sind nämlich Halbgötter, Satyrn, Elfen und Druiden, die sich vor den neugierigen Sterblichen in einem abgelegenen Winkel Frankreichs verborgen halten. Unsterblich wie sie selbst ist auch ihr erotisches Begehren. Das wird nicht jeder mögen, bietet aber die Möglichkeit zu fantasievollen Verwicklungen und Sexszenen — beispielsweise kann die eine Figur ihr Geschlecht wechseln, eine andere lässt beim Kontakt mit Menschen zwanghaft deren noch so abseitige sexuelle Fantasien lebendig werden.
Die nur lose verbundenen Episoden dieses Romans, dessen Handlung sich über 2000 Jahre hinzieht, erzählen spannende Geschichten, die mehr zu bieten haben als „sie trafen sich und hatten tollen Sex“ — vor allem nach dem etwas klischeehaften und durch die ungewöhnliche Personenkonstellation verwirrenden Anfang. Zwei Fortsetzungen dieses fantasievollen und anregenden Unterhaltungsromans sind in den USA bereits erschienen.


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Iris Hanika: Treffen sich zwei

Eines Abends im heißen August begegnen sich Thomas, der Informatiker und Senta, die Galeriemitarbeiterin. Es dauert nicht lange, bis die beiden in ihrem Bett landen, und es bleibt nicht bei diesem einen Mal: „‚Du vögelst schon ganz gerne‘, sagte er …“.
„Treffen sich zwei“ ist die Geschichte vom eventuellen Anfang einer Beziehung zwischen zwei Mittvierzigern in Berlin- Kreuzberg. Iris Hanika mixt in ihrem Buch Theater- und Geschichtswissen, borgt sich Zitate von Tucholsky bis Arno Schmidt: „so dödelmäßig doof glubschglotzte sie ihn da an“, hinzu kommen Auszüge aus Boulevard- oder Therapeutenklatsch: „Ich heule schon so lange, dass es tatsächlich ein Teil meines Lebens geworden ist“. Sie mixt auch Groß- und Kleinschreibung, Lyrik und deutsche und englische Sprache („Kurzprogramme“ / „A QUICK FIX“). Man vermutet Absicht, wenn „seine Augen zum ersten Mal angekrochen kamen … Meistens krochen sie aber einfach in ihrem Hirn herum.“ Den Anfang einer Liebesbeziehung durch ironische Brechung und jenseits der konservativen Erzählweise zu zeigen, bleibt ein interessanter Versuch.


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Laura: Sin Permiso/Ohne Erlaubnis

Das bibliophile Konkurs-Büchlein überschreitet sprachliche und Gattungsgrenzen, indem es den Bildern der Künstlerin Laura Erzählungen in deutsch und spanisch gegenüberstellt. Das Thema der (überwiegend) lesbischen Liebe gestalten die Autorinnen Mercedes Abad, Annette Berr und Julia Kulewatz in ihren Geschichten auf fantasievolle Art. Vor allem gefällt die Zwanglosigkeit, mit der Abad und die Chansonette Berr den Realismus hinter sich lassen und ins Grotesk Poetische hinübergleiten. Die Zeichnungen und Aquarelle Lauras zeigen eine große Vielfalt an Stilen und Techniken, hinter denen aber stets die Handschrift der Künstlerin durchschimmert. Neben flüchtig hingeworfenen, mitunter ungelenken pornografischen Bildern in Pastellfarben und strengen SMComiczeichnungen stehen Tuschzeichnungen, die sich von Aubrey Beardsleys kräftigem Strich und dekadenter Mythologie inspirieren ließen. Mal scheint etwas Modigliani durchzuschimmern, mal etwas Matisse, mal grelle Pop-Art, und oft folgt Laura ihrer Vorliebe für aristokratische Profile. Auf außergewöhnliche Art sinnlich.


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Doris Lerche: Damit ich dich besser küssen kann

Das erste Date, eine lauschige Bar, und da erwähnt er beiläufig, dass er sexsüchtig ist. Mehr Handlung gibt es nicht in der ersten von über dreißig Geschichten, denn alles andere läuft im Kopf der Frau ab. Doris Lerche schaut sehr genau hin, in kleinen Episoden rollt sie das ganze Leben ihrer Figuren auf. Und wie im richtigen Leben liegen Komik und das Tragik, das Bittere und das Gelöste dicht beieinander. Dabei schlüpft die Schriftstellerin und Cartoonistin in ganz unterschiedliche Charaktere, die allesamt lebensnah und glaubhaft wirken. Die Sexprobleme der vernachlässigten Ehegattin, der Liebeshunger der erfolgreichen Single-Frau und die Lebensangst des späten Mädchens scheinen ihr alle gleichermaßen vertraut. In der vielleicht aufwühlendsten Geschichte verabschiedet sich eine sterbende Frau vom Leben, von der Liebe und vom Sex. Doch nahe gehen dem Leser auch die anderen Minidramen, die selten mehr als eine Handvoll Seiten benötigen. Die menschliche Komödie, das Suchen, Finden, Bewahren und Verlieren von Liebe, ist ein unerschöpflicher Stoff.


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David Foenkinos: Das erotische Potential meiner Frau

Hector, seit seiner Kindheit ein besessener Sammler, lernt nach einem halbherzigen Selbstmordversuch Brigitte kennen, die Liebe seines Lebens. Die beiden Außenseiter finden aneinander Glück und sexuelle Erfüllung – so sehr, dass bei Hector diese Glücksgefühle festhalten will und einen Rückfall in seine Sammelwut erlebt. Viele groteske Nebenfiguren und Wendungen tragen die dürre Geschichte dieses absurd komischen Romans, in dessen Verlauf Brigitte eine unwiderstehliche Anziehungskraft an sich entdeckt, die ausgerechnet beim Fensterputzen von ihr ausgeht. Foenkinos muss mit Leidenschaft Jonathan Swift gelesen haben: Er schreibt über seine liebenswerten Exzentriker und ihr nicht gerade alltägliches Leben in einem Stil, der mindestens so wichtig ist wie die Geschichte selbst. Jeder Satz will glänzen, mit einer neuen Wendung überraschen. Auch wenn bei dieser Fülle an Pointen so manches an den Haaren herbeigezogen oder albern ist, bringt es der mit Esprit gesegnete französische Autor auf eine beachtliche Trefferquote. Ein verschrobenes Vergnügen.


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Corinna Rückert: Kammern der Begierde

Leo und Mia lieben sich, aber auf seine sexuellen Avancen lässt sie sich eher widerwillig ein. Mias sinnliche Freundin Helena erteilt deshalb Leo ein bisschen Nachhilfeunterricht. Das scheint zu klappen: Leo nimmt sich zurück und lockt Mia so aus der Reserve – doch sie kommt damit nicht zurecht und bricht die Beziehung ab. Auf einer Party erlebt die aufgewühlte, betrunkene Mia einen Zusammenbruch, bewusstlos durchwandert sie die Kammern der Lust …
Wie die anderen Romane aus Rowohlts Erotikreihe lässt „Kammern der Lust“ wenig zu wünschen übrig, was Häufigkeit und Intensität der Sexszenen angeht. Corinna Rückert hat aber nicht einfach nur eine weitere Masturbationsvorlage geschrieben, sondern verleiht ihren lebensnah gezeichneten Hauptfiguren psychologische Tiefe.
Am Ende steht Mia vor der Wahl, ob sie Zuschauerin ihres erotischen Traumtheaters bleiben will, oder ob sie ihre engen Grenzen überwindet. Diese Entwicklung macht das Buch im besten Sinn didaktisch – oder, wie es die Verlagswerbung ausdrückt, tatsächlich zu einer „Anleitung zur Hemmungslosigkeit“.

Am 8. April 2008 von Herbert Braun · Kategorien : Literatur


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Pedro Juan Gutiérrez: Schmutzige Havanna-Trilogie

„Roman“ passt nicht ganz für diese drei Bücher, in denen der Kubaner Gutiérrez in den 90er-Jahren kaum verbundene Episoden zu einem autobiografisch klingenden Panoptikum anordnete. Gutiérrez zeichnet sich selbst als jemand, den man euphemistisch Lebenskünstler nennen könnte: Er verkauft Limonade, prostituiert sich älteren Europäerinnen, wandert dafür ins Gefängnis, hängt in einer verrotteten Altbauwohnung im Zentrum Havannas herum, schreibt Gedichte und wartet darauf, dass ihm das Leben Gutes tut – in Form von Rum oder Frauen. Beides passiert häufig. Durch das Buch zieht sich eine sinnliche, schmutzige, brutale, genussfreudige Stimmung, wie sie wohl nur in einem sehr armen, tropischen Land möglich ist. Der Sex ist kompromisslos körperlich, ohne jede romantische Verzärtelung. Bisweilen gefällt sich Gutiérrez darin, die Ekelgrenzen auszutesten. In vielem erinnert er an Bukowski, doch steigert sich bei ihm der Zynismus fast schon zum Darwinismus: Wer in diesem Elendsparadies nicht überlebt, braucht nicht mit Mitleid zu rechnen. Nichts für Zartbesaitete.


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Daria Charon: Die Nichte der Marquise

Immer wieder zieht es Autor(inn)en von Erotica in das Frankreich des 18. Jahrhunderts mit seinen Galanterien und Grausamkeiten – so auch die Wienerin Daria Charon bei ihrem zweiten Roman. Darin gerät Marie, ein reizendes Bauernmädchen, in die Hände einer Marquise, die sie als Mätresse ausbildet. Sie nimmt Marie mit nach Paris, verwandelt sie in eine Dame von Welt und führt sie auf dem Hof Ludwigs XIV ein. Es dauert nicht lange, bis die Jungfrau das Bett des Sonnenkönigs kennen lernt – und zwar so ausgiebig, dass sie davon träumt, zur Hauptmätresse aufzusteigen. Allerdings hat die schöne Marie auch das Interesse des skrupellosen Tristan de Rossac geweckt, der sich in ihr Gemach schleicht und sie zu neuen sexuellen Höhenflügen geleitet. Vom König verstoßen, muss Marie ihren Verführer heiraten – nicht ohne sich vorher an ihm zu rächen …
Daria Charon hat einen souveränen erotischen Unterhaltungsroman geschrieben, dessen Handlung die zahlreichen, zum Teil recht expliziten Sexszenen noch trägt. Wer animierende Bettlektüre ohne weiteren Anspruch sucht, ist hier genau richtig.