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Wochenschau XI: Kannibalismus und Zensur

Das KZ als Kulisse für SM-Pornos? Vor allem für deutsche Ohren klingt das nach einem Skandal. Um so seltsamer, dass es das tatsächlich gab, und zwar in Israel. Noch seltsamer, dass die Schundheftchen der Reihe „Stalag“ Anfang der 60er-Jahre dort die ersten Pornos waren, bis sie nach zwei erfolgreichen Jahren verboten wurden. Ein israelischer Dokumentarfilm (SZ, New York Times) hat die kruden Geschichten um sadistische SS-Aufseherinnen und gefolterte Kriegshelden dem Verdrängen entrissen – und stellt ein paar unangenehme Fragen über Vergangenheitsbewältigung und den Umgang mit dem Grauen.

Für eine andere Art von Grauen steht der Kannibalismus-Fall, der 2001 die Öffentlichkeit erschüttert hat – vor allem, da das Opfer in seine Tötung und Verspeisung eingewilligt hat. Die Zeit versucht, durch ein Interview mit einem Sexualwissenschaftler Licht in die finstersten Abgründe zu bringen und zeigt beim Titel eine ungewohnte Neigung zum Kalauer.

Puritanismus in Skandinavien: Laut SZ wollen es die Norweger ihren schwedischen Nachbarn gleichtun und Prostitution verbieten. Freier müssen in Ikea-Land seit 1999 mit empfindlichen Geldstrafen rechnen. Ob die Kriminalisierung den Sumpf aus Menschenhandel und Zwangsprostitution wirklich austrocknet, ist zweifelhaft – aber das hat auch bei der Drogenpolitik Moralhardliner noch nie gestört.

Aus der Rubrik „Wissenschaftler haben herausgefunden“: Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Männer sich nicht etwa deshalb jüngere Frauen suchen, weil sie ihnen besser gefallen, sondern aus dem evolutionsbiologischen Wissen heraus, dass sie jüngeren Partnerinnen den höchsten Reproduktionserfolg (vulgo: die meisten Kinder) erzielen können. Optimal für beide Partner ist ein Altersunterschied von etwa fünf Jahren. Eigenartig, mit welchen Fragen sich an der Uni Wien die Tierärzte beschäftigen.

Dass Jugendschutz in Deutschland öfter mal gegen Artikel 5 Grundgesetz gewinnt, mussten letzte Woche die Kunden eines der größten deutschen Internet-Zugangsprovider erfahren: Arcor sperrte den Zugriff auf einige bekannte ausländische Porno-Sites, weil diese nicht mit der strengen deutschen Altersverifikation verhindern, dass Dreizehnjährige Kopulationsdarstellungen zu sehen bekommen. Das hat schon einen Beigeschmack, aber wenn man erfährt, dass a) Arcor nicht etwa der Staatsanwalt oder eine richterliche Verfügung im Nacken saß, sondern die einstweilige Verfügung eines Pornofilmverleihs, dass b) als Kollateralschaden Millionen völlig harmlose Websites gesperrt wurden und c) Arcor selbst mit Silikontitten und willigen Wasserstoffblondinen gutes Geld verdient (mit den „prickelnden Filmen ab 18“ auf der Arcor-Tochter adultpark.de) – dann wird aus der Posse ein hässlicher kleiner Skandal. Die Meinungsfreiheits-Streiterin Bettina Winsemann vergleicht diese Zustände nicht zu Unrecht mit denen in China (1, 2). Kleiner Trost: Die Sperrungen sind nach Arcors PR-Debakel aufgehoben.

Vermischtes zum Schluss: Die taz macht sich über all die albernen Sexumfragen lustig, Brian Alexanders Sexploration tröstet Männer, die auf Vibratoren eifersüchtig sind, das Sexblog hat Phallisches im Maskottchen der kommenden Fußball-EM gefunden, warnt davor, Kreuzschraubenzieher in den Penis einzuführen (aua! Das geht doch nur mit Schlitzschraubenziehern) und lässt sich die IP-Adresse des Rechners vorstöhnen. Krass harter Nerd-Porno.

Autor: Herbert Braun

Mitherausgeber des Feigenblatt Magazin und sowas wie der Chefredakteur.