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Rosa Viagra, Pt. 2

Wie vor, mei, genau einem Monat – hier berichtet – hat der Pharmakonzern Boehringer Ingelheim quasi durch Zufall eine Lustpille für Frauen entwickelt, die ihre Wirkung im Gegensatz zum klassischen Viagra nicht an den Genitalien direkt, sondern auf das Gehirn auswirkt. Was uns das in Punkto „schwanzgesteuert“ sagt, sei dahingestellt – in einem Interview mit dem Sexblog der Zeit berichtet die Berliner Partnerschaftstherapeutin Berit Brockhausen:

“Mich ärgert, dass durch die Medikalisierung das schon lange wiederlegte Triebkesselmodell der Lust erneut Nahrung bekommt. Es impliziert, dass jeder und vor allem jede, die nicht spontan geil ist, einen Defekt hat, der medikamentös ausgeglichen werden kann und muss. Doch die Lust auf Sex entsteht nicht von selbst, sondern durch die Beschäftigung mit Sex. Sei es durch einen anregenden Anblick, vergnügliche Fantasien oder Gedanken an Sex, oder auch stimulierende Berührungen, die genossen werden können.“

Sexuelle Unlust als Krankheit zu titulieren, wie es die Pharmaindustrie tut, impliziert ja, dass etwas falsch läuft mit einer Frau die nicht möchte, und das wiederrum könne zu starken Selbstzweifeln führen, so Brockhausen:

“Wieso macht mich das jetzt nicht an, ich müsste das doch erotisch finden, alle anderen finden das geil, nur bei mir ist mal wieder gar nichts, er wird sicher enttäuscht sein, aber ich kann ihm doch nichts vorspielen, oder vielleicht doch? Aber …”

So oder so: das Produkt wurde von der US Food and Drug Administration abgelehnt – Begründung: die Ergebnisse der Studien seien einfach nicht signifikant genug.

Was ich Ihnen an dieser Stelle nicht vorenthalten möchte: ein Interview, das ein Kollege von Vice Deutschland mit einer Pressesprecherin von Boehringer-Ingelheim führte.

VICE: Hallo Frau Seefeld. Ich möchte Sie gern zu ihrem neuen Produkt Flibanserin interviewen. Haben sie ein wenig Zeit für mich?

Seefeld: Was wissen Sie denn über das Produkt?

Nun ja, Ich bin über ein paar englischsprachige Artikel darauf aufmerksam geworden, habe aber noch keine offiziellen Stimmen ihrer Firma gefunden. Ich dachte Sie könnten mir ein paar Fragen beantworten. Wie funktioniert dieses Medikament denn?

Also Flibanserin hat auf keinen Fall was mit Viagra zu tun. (das Wort “Viagra” hatte ich bis dahin noch gar nicht erwähnt) Wie wäre es, wenn ich Ihnen eine Informationsmappe zukommen lasse?

Nein, ich wäre eher für das Interview jetzt. Ich habe Bio in der zehnten Klasse abgewählt, Sie werden mir nun keine schwierigen Fragen beantworten müssen. Wirkt Flibanserin auf psychischer oder physischer Ebene?

Ich möchte lieber noch einmal einen Schritt zurück machen. Was planen Sie denn überhaupt für eine Berichterstattung? Ich war gerade mal auf ihrer Homepage und fand nicht, dass wir da so gut reinpassen, ihre Zielgruppe sind doch eher pubertierende männliche Jugendliche, wenn ich das richtig gesehen habe… warum wollen Sie uns denn überhaupt interviewen?

Ich glaube, dass es sich hier um ein Produkt handelt, das durchaus viele unserer Leser interessant fänden. Außerdem war das Interview doch jetzt schon länger geplant. Haben Frauen überhaupt Potenzprobleme?

Hören sie, wir hatten am 10. Juni ein öffentliches Hearing des Zulassungsprozesses, der nicht besonders positiv für uns ausgefallen ist …

Ja eben, deshalb rufe ich ja an. Ich hatte einfach den Plan eines Artikel in Form eines Interviews über dieses Produkt, weil es doch …

(unterbricht) Genau, aber wenn ich sage, dass die Pressestimmen aus Amerika nicht besonders positiv waren, dann… wollen Sie wirklich ein Interview über ein Produkt, von dem Sie gar nicht genau wissen ob es auf den Markt kommen darf?

Warum denn nicht? Also fangen wir doch gerne einfach dort an: warum gibt es Probleme mit der Zulassung?

Es geht um verschiedene Zulassungsprozesse mit Expertenhearings, wo Besucher sich anmelden können, wo Gäste geladen werden, die sich dann zu dem Produkt äußern können. Das waren in unserem Fall Gynäkologen, Biostatistiker…

Und da gab es dann Proteste? Unerwartete Schwierigkeiten?

Also—ich weiß nicht ob Sie sich das vorstellen können—wir hatten ja vor 12 Jahren Viagra. Und da ist die Haltung gegenüber unseren Medikamente noch immer ein bisschen negativ behaftet, uns wird da eine extreme Haltung vorgeworfen …

Inwiefern “extrem”? Warum denn?

Ich möchte mich da eher noch mal mehr auf Ihre Fragen vorbereiten können… wie wäre es wenn Sie mir die zukommen lassen? Es gibt übrigens einen sehr guten Artikel über uns in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Aha. Also mir ging es eigentlich nur um ein paar kleine Fragen, die sich mir gestellt haben, als ich auf das Thema gestoßen bin. Mich interessiert vor allem auch die Notwendigkeit des Produkts, können Sie mir dazu etwas sagen?

(lacht verlegen, stottert)

Weil, ich hatte das nicht ganz verstanden—Frauen haben doch eigentlich keine Potenzprobleme, wenn ich das richtig sehe. Wozu dann das Medikament?

Ähm… wollen wir es vielleicht so machen… ich möchte da jetzt nicht so gern in ein Interview mit Ihnen hinein geraten…

Nein?

(lacht unsicher)

Warum nicht?

Äh… zum Einen habe ich Ihnen gerade gesagt, dass wir die Interviewanfrage ein bisschen nach hinten schieben müssten… ich würde Ihnen vielleicht mal einen Link schicken, wir haben da ziemlich viel Material.

OK. Ich dachte, Sie könnten mir jetzt einfach nur ein paar simple Fragen beantworten. Ein Bericht wäre ja vielleicht auch für Sie interessant, wir haben eine große Leserschaft.

Ich schicke Ihnen jetzt noch eine Mappe zu und dann terminieren wir das noch mal richtig …

Aber wir haben doch genau jetzt einen Termin, oder? Ich verstehe das nicht ganz?

… und es gibt da auch noch einen wirklich großartigen Artikel in der F.A.Z.!

So. Wissen wir das jetzt also auch (nicht). Mal sehen, wann es neues aus der Produktschmiede rund um die Volkskrankheit Weibliche Sexuelle Dysfunktion gibt – mit Gewinnspannen um die zwei Milliarden US-Dollar ist das Thema finanziell schlicht zu reizvoll, um einfach so fallen gelassen zu werden. Bis dahin bleibt uns wohl nur Frau Brockhausens guter Rat, sich mehr mit dem Thema Erotik auseinanderzusetzen – wer hier hat eigentlich noch kein Feigenblatt Abo?

via: Vice Deutschland und man muss ja nicht immer reden.