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Vögel- und jugendfrei

Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien hat sich eine Bestseller-Autorin vorgenommen: Sophie Andreskys „Vögelfrei“ stand zur Debatte. Der Pornoanwalt hat das Sitzungsprotokoll veröffentlicht. Interessante Lektüre.
Eine 12-köpfige Jury, der unter anderem Jugendhelfer und Kirchenvertreter angehören, diskutierte darüber, ob der Roman pornografisch (also schwer jugendgefährdend) oder einfach jugendgefährdend sei. Dabei gab man sich Mühe – das Protokoll ist immerhin zehn Seiten lang.
Zuerst kam der Beschuldigte zu Wort. In seiner Verteidigung behauptet der Verlag (Heyne / Random House) allen Ernstes, Erotikliteratur sei eine „Männerdomäne“ (das war sie vielleicht vor dreißig Jahren), der Andresky eine „eigene weibliche Perspektive“ entgegensetze. Anders gesagt: männliche Sexfantasie bäh, weibliche Sexfantasie toll. Gegen die Einschätzung als Pornografie spreche, dass die Protagonistin in den sexuellen Ausschweifungen keine Erfüllung findet – vielleicht ist das die Erklärung, warum Sex in der deutschen Belletristik meistens so deprimierend ist. Oh, auf Seite 5 wird aus unserer Rezension zitiert! Nebenbei erfahren wir, dass Heyne stattliche 100.000 Exemplare des Romans unter die Leute gebracht hat.
Letztlich stufte die BPjM das Buch trotz seiner durchaus derben und stimulierend gemeinten Stellen nicht als pornografisch ein, weil es auch eine ernstzunehmende Handlung mit Zwischenmenschlichkeit und Reflexionen enthält. Da weder die Hauptfigur noch ihre zahlreichen Beschäler als bloße Sexobjekte dargestellt sind, liegt auch keine einfache Jugendgefährdung vor. „Das Gremium hat insbesondere die Kapitel ‚Leo‘ und ‚Gemma‘ länger diskutiert, weil darin u.a. sadomasochistische Handlungen beschrieben werden“, doch zum Glück empfindet die Hauptfigur diese „nicht als schön“.
Jugendgefährdend ist „Vögelfrei“ nicht, aber jugendbeeinträchtigend – was die Prüfstelle allerdings nichts angeht: „Insbesondere obliegt es daher im Bereich der Printmedien Eltern und anderen Erziehenden, solche Inhalte entsprechenden Altersgruppen nicht zugänglich zu machen.“ Tatsächlich: Auf Jugendliche, die nur Online-Pornos kennen, könnte so ein Roman verstörend wirken.


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Feigenblatt 11, Teil 2: Über den Pornobalken

Einige Leser haben sich über die schwarzen Balken auf Seite 40/41 gewundert. Die Erklärung dafür sind ein paar unschöne Erfahrungen, die wir mit dem letzten Heft gemacht haben: Wegen eines (bereits in einem Buch publizierten!) künstlerischen Männeraktes mit zwei halberigierten Penissen (für die Abonnenten: Seite 42) konnte Feigenblatt Nr. 10 nicht überall verkauft werden. Als wir das erfahren haben, wussten wir nicht, ob wir lachen oder weinen sollten.

Ausschnitt Feigenblatt Nr. 11 - Copyright Feigenblatt

Es fühlt sich komisch an, die Jugend zu gefährden: mit schmierigen Bildern und schmutzigen Texten, heimlich an der Straßenecke verhökert, die Seelen wehrloser 16-Jähriger zu zerstören, die bekanntlich massenhaft unsere Zeitschrift lesen, weil sie sonst ja nicht an Nacktfotos herankämen …

Ein bisschen absurder wird es noch dadurch, dass Feigenblatt 10 (soweit wir bisher sehen konnten) unser bisher mit Abstand bestverkauftes Heft werden dürfte. Trotzdem wollten wir diese Erfahrung nicht noch einmal machen und ließen unser Heft vorher anwaltlich begutachten.

Bei den Bildern wussten wir jetzt wie es läuft: keine Ständer, keine Spalten (es sei denn, es ist Kunst. Kunst erkennt man daran, dass der Fotograf schon mal auf der Documenta ausgestellt hat. Es hilft auch, wenn das Modell gefesselt oder sonstwie gedemütigt wird). Aber was sind pornografische Texte?

Wir haben uns letztlich entschlossen, einen Text abzulehnen, der relativ heftig war – obwohl er zum Heftthema gut passte und die literarische Qualität stimmte. Bei einem weiteren Text – der ironischen Transkription eines 70er-Jahre-Pornos von Crauss – haben wir die bösen, bösen Worte eingeschwärzt (wie ich es früher mal hier gemacht habe, damals aber ohne Not).

Am albernsten fand ich, dass wir eine Liste mit Experten-Empfehlungen für paartaugliche Pornos nicht drucken durften. Es ist nämlich nicht nur verboten, Pornofilme offen zu zeigen, auch die Werbung dafür (und als solche könnte man so eine Liste auffassen) geht nicht. Die dauergeilen Omas, die ihre 0900-Telefonnummern in gewisse Zeitungen setzen, scheinen dagegen kein Problem zu sein. Ich bin auch in einem Kommentar im Heft darauf eingegangen.

Das Problem ist: Wenn in einem oberbayrischen Supermarkt (ich bin ethnically Bavarian, ich darf das sagen) der pensionierte Dorfpolizist im Einsatz für Sitte und Moral das Feigenblatt durchblättert und uns anzeigt, ist der Händler unglücklich, der Presse-Grossist unglücklich, unsere Vertriebsfirma unglücklich und wir vermutlich bankrott, weil uns die Anwaltsrechnung erledigt. Und Gerichtsverfahren sind Glückssache.

Das System sieht eine Zeitschrift wie das Feigenblatt nicht vor. Deshalb machen wir es.


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Wochenschau: Robotersex und Sylvester Stallone

Während ich hier schreibe, geht in Berlin gerade der vorläufig letzte Erotiksalon zu Ende. Dabei gäbe es noch so vieles, worüber man mal reden sollte.

Zum Beispiel über die Sexbranche im Umbruch. Betroffen sind nicht nur Schmuddelheftchen, sondern auch Sexkinos und Videokabinen, denn die zwei Minuten bis zum Zewa-Tuch verbringen die meisten inzwischen vor dem eigenen Computer. Die taz hat eines der letzten Pornokinos in Berlin-Mitte besucht.

Der technische Fortschritt macht unter der Gürtellinie nicht halt: David Levy, Experte für künstliche Intelligenz und Computerschach, prophezeit, dass Mitte des Jahrhunderts Sex mit Robotern üblich sein wird. Klingt erst einmal albern, ist aber nicht unrealistisch, wenn man sich darunter keine piepende Blechdose, sondern eine animierte Sexpuppe vorstellt (ich hoffe nur, sie wird nicht so aussehen wie die zuletzt hier gezeigten). Liegt es an meinem Alter, dass ich Zukunftsvisionen meistens beunruhigend finde?

Und noch mehr schlechte Nachrichten, meine Herren: Unsere im biologischen Sinn einzige Existenzberechtigung als lebende Spermienfabrik macht die Wissenschaft gerade zunichte: Gentechnisch behandelte Stammzellen aus dem Knochenmark tuns auch. Und zwar ohne den ganzen Stress. Ziehen wir uns einfach diskret in den Jurassic Park der ausgestorbenen und überflüssigen Arten zurück; die Saurier im Film kamen ja auch ohne Männchen zurecht.

Da ist es ein schwacher Trost, dass dänische Samenspender ihre Dienste weiterhin steuerfrei als Transportleistung und nicht als Arbeit versteuern müssen. Immerhin lernen wir nebenbei, dass Dänemark nicht nur die ekligsten Würstchen, sondern auch die größte Samenbank der Welt besitzt.

Knapp anderthalb Millionen Dollar kosten dem Fernsehsender ABC ein paar Sekunden nackter Frauenhintern, der in manchen Zeitzonen der USA vor 22 Uhr zu sehen war. Ob in der beanstandeten Folge der Krimi-Serie „NYPD Blue“ auch Gewalttaten gezeigt worden sind, die keiner für jugendgefährdend hielt? Ach, Amerika.

Und noch mehr Jugendschutz: Die Klage eines Erotik-Unternehmers, nach welcher der Internetprovider Arcor den Zugang zu Google hätte sperren müssen, wurde vom Oberlandesgericht Frankfurt abgewiesen. Für den Kläger, den Erotikunternehmer Tobias Huch, gerade deshalb ein Erfolg: Er wollte den Beschluss einer anderen Kammer (wir berichteten) lächerlich machen, der Arcor-Kunden den Zugriff auf YouPorn und andere Porno-Sites verwehrte – und bislang noch immer verwehrt.

Schluss zu machen, ist nicht immer vergnüglich. Statt per SMS oder Post-it ist es doch viel sensibler, eine ausführliche E-Mail zu schreiben. Oder schreiben zu lassen von einem Abschiedsbrief-Generator. Der Stil reicht von „Ich freue mich auf unsere Freundschaft“ bis „Mögen Maden deine Testikel verspeisen“.

Sollten Sie demnächst in Yorkshire/England auf den Bus warten, nehmen Sie bitte Ihre Freundin von der Hundeleine. Ansonsten werden Sie wegen Verletzungsgefahr nicht mitgenommen – jedenfalls solange die Beschwerde eines SM-Paares, das Busunternehmen habe sie diskriminiert, nicht Erfolg hat.

Italian Stallion
Kaum zu glauben, aber wahr: Eine 42-jährige Aachenerin, die sich nach diversen Gewalttätigkeiten ihrem Mann nicht mehr nähern durfte, bedrohte ihn erneut – mit einem 18 Zentimeter langen Küchenmesser, das sie in ihrer Vagina versteckt hatte.

Silke Maschinger erinnert an 60 Jahre Kinsey-Report. Den runden Geburtstag (es wird der vierzigste sein) feiert Dr. Sommer erst nächstes Jahr, aber „Eines Tages“ plündert schon mal die Jugenderlebnisse.

Etwas abgehangen, aber immer noch ein Lesegenuss: Zeit-Kolumnistin Sigrid Neudecker nimmt sich streitlustig die sogenannten Sextipps eines Hochglanzbusenhefts vor.

Cineasten vor: Was war die erste Rolle von Jahrhundertschauspieler Sylvester Stallone? Richtig, ein Porno namens „Italian Stallion“. Die ungeschnittene Fassung dieses Meisterwerks von 1970 kommt nächste Woche in einer Liebhaberedition heraus, inklusive einer kritischen Würdigung von Nicolas Barbano, Edel-Porno-Produzent und vermutlich der größte lebende Experte auf diesem Gebiet. Besser war Stallone nie mehr.