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Echte Kurven

Neulich kam mir bei einem vollwertigen Frühstück, bestehend aus Instantkaffee, einer halben Schachtel Champagnertrüffel und des für mich zielgruppengerechten „frechen Frauenmagazins“ Joy ein kleines bisschen Erbrochenes hoch: die „Reportage“ „Stars in der Jo-Jo-Falle“ (siehe April-Ausgabe 2010) beschreibt ebendies: Prominente Frauen, die manchmal halt auch was essen und dann wieder abnehmen und dann wieder zu und dann wieder ab.

Das ansich ist, gerade für Frauen mit hohem Schadenfreu-Potential (also alle?) immer wieder nett und amüsant anzusehen – sind also auch nur Menschen, haben auch Probleme, liegts also nicht nur an mir, wenn ich nicht Size Zero habe sondern auch daran, dass das mit Selbstgeißelung, Disziplin und viel viel Zeit beim Personal Trainer zusammenhängt.

Problematisch wird es allerdings bei der Aufbereitung des Themas, so wie hier im Fall der Joy. Anstatt wie in der Internetversion des Artikels noch ein paar mahnende Worte über Nicole Richie und Victoria Beckham, übrigens beide „Thinspirations“ der „Pro Ana“-Szene, und darüber, dass es irgendwann ja echt auch mal genug ist, fallen zu lassen, tendiert der Heft-Artikel in eine klare Richtung.

Bei Maria Carey – einmal in einem Kleid in ihrer Größe und einmal in einer Wurstpelle abgebildet – sind Eheprobleme vorprogrammiert. Der Grund? Klar, ihr hats ein bisschen zu gut geschmeckt in letzter Zeit. Auch Jennifer Love Hewitt kämpft: Sie hätte, so Joy, eigentlich keinerlei Probleme mit ihrem Körper – doch ihr neuer Freund nannte sie „Birnen-Arsch“, und das konnte sie natürlich nicht auf sich sitzen lassen.

Was lernen junge Frauen wie ich, eine Zielgruppe die der Bravo Girl entwachsen ist und für die Brigitte oft eine zu geringe Aufmerksamkeitsspanne hat? Bleib dünn, sonst brauchst du dich nicht wundern wenn keiner dich liebhat.

Als wäre das noch nicht problematisch genug, rundet Joy die Miniportraits von runden Popos noch mit den wohlmeinenden „Tips“ der Stars ab: Fergie zum Beispiel verzichtet dreimal die Woche aufs Abendessen, weil das „den Stoffwechsel ankurbelt“. Mariah lutscht einfach mal nen Eiswürfel um ihre Geschmacksnerven zu betäuben und so den Ehegatten zu besänftigen. Und bei mir reicht das Lesen solcher Ratschläge für ein temporäres Vorstadium von Bulimie.

Frauen, die Dünnsein als Beruf ausüben, als Vorbild zu proklamieren und ihre selektive Essgestörtheit als cleveren Tip zu verpacken – wie die Joy das Thema „Jojo-Effekt“ aufgreift, ist gefährlich und ungesund.

Und dennoch nur eines von vielen Symptomen der Krankheit mediale Körperwahrnehmung. Sie ist überall, sie versaut uns den Appetit, ein gesundes Verhältnis zum eigenen Körper, und somit auch den Sex, wenn wir überlegen, ob unsere Cellulite schon Mischa-Barton-Ausmaße erreicht, anstatt im Moment aufzugehen.

Wie bereits vor einiger Zeit berichtet überlegen Frankreich und Großbritannien gephotoshoppte Bilder in Werbung und Zeitschriften (somit, hust, fast alle) mit entsprechenden Warnhinweisen, siehe Zigarettenpackung, zu versehen. Passiert ist hier noch nicht so viel – im Gegensatz zu, wer hätte das gedacht, den USA.

Ein neuer Gesetzesvorschlag, der Healthy Media Youth Act befasst sich mit wissenschaftlichen Studien zum medialen Einfluss auf junge Mädchen und kommt zu erschreckenden, aber irgendwie nicht so verwunderlichen Ergebnissen:

Neunzig Prozent der jungen Mädchen geben an, sie würden von den Medien unter Druck gesetzt, 42 haben schon mindestens eine Diät hinter sich, 37 leiden an einer Essstörung und 31 Prozent halten Hungern für eine gute Methode abzunehmen. Der Druck der Medien gefährde Freundschaften und ein gesundes Verhältnis zu Sexualität und zum eigenen Körper. Außerdem seien Frauen in „toughen“ Rollen stark medial unterrepräsentiert, wodurch es jungen Mädchen schwerfällt, sich im Fernsehen ein emanzipatorisch adäquates Vorbild zu suchen.

Gerade in Kinderfilmen werden Frauenrollen eher für ihre optische Erscheinung als für bestimmte Persönlichkeitseigenschaften gelobt. (Hat mal wer ein Wort über Mariahs gar nicht mal so üble Schauspielleistung in „Precious“ verloren?)

Der Gesetzesentwurf fordert mehr Forschung darüber, inwieweit der Medienkonsum Einfluss auf das weibliche Selbstbewusstsein hat. Außerdem soll die mediale Lesefähigkeit („Media Literacy“) junger Leute gefördert werden, indem beispielsweise Aufklärung über gesunde Ernährung und realistische Darstellung betrieben wird.

Ich fang schon mal an zu träumen – von einer Welt, in der Mariah Carey von ihrem Typ wieder für Ruhm und Geld geliebt wird, Jennifer Love Hewitt einsieht, dass nicht der Birnenarsch das Problem ist, sondern der Arsch, der sich darüber aufregt – und von mehr Frauen, die aussehen wie Christina Hendricks in Mad Men.

Darauf noch einen Champagnertrüffel.

via: Feministing