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Bauarbeiten

Der geplante Relaunch der Feigenblatt-Website war schon sowas wie ein Insider-Witz bei uns, weil wir ihn seit mindestens zwei Jahren immer mal wieder anpacken, liegen lassen und nach ein paar Monaten von vorne anfangen, weil wir alles vergessen haben und nur wieder eine halbgare Projektruine mehr herumliegt.

Jetzt haben wir zumindest mal Tatsachen geschaffen: Die neue Feigenblatt-Website ist, so unglaublich es klingt, tatsächlich online. Allerdings stehen noch einige Reparaturarbeiten und Tests aus. Also nicht wundern, wenn es stellenweise noch ein bisschen rumpelt und knirscht (aktuell dürfte zum Beispiel die Online-Bestellung noch nicht funktionieren – doch, Printexemplare kann man wieder bestellen, die ePaper müssen wir noch testen) – wir arbeiten zügig daran.


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Amazon: Sex verkaufen, aber nicht darüber reden

In seinen Kindle-Charts listet Amazon die meistverkauften E-Book-Titel. Alle? Nein, nicht mehr alle. Gestern flogen offenbar alle Erotik-Titel aus der Liste. Wer sich für Schmutz und Schund interessiert, kann sich nach wie vor in den Erotik-Charts darüber informieren. Dabei geht es nicht um ein Nischenphänomen: aktuell befänden sich drei Erotiktitel von Großverlagen wie Heyne unter den Top Ten; ein vierter („Fesselnde Liebe“) ist dort immer noch gelistet. Die Print-Charts sind derzeit noch ungesäubert.

Zugegeben: Das ist keine Heuchelei von Weltbild-Dimensionen. Aber es zeigt doch eine sehr unerfreuliche Entwicklung, zumal die aus der Liste gestrichenen Bücher allesamt vollkommen harmlos aufgemacht sind und in jedem Buchladen ausliegen – anders als der teilweise hanebüchene Schrott auf den hinteren Erotik-Verkaufsrängen. Schlimmer noch: Laut dem oben verlinkten Beitrag von lesen.net ist eine solche Manipulation gängige Praxis bei den Anbietern. Die Leser von „Alle müssen sterben“, „Mordwoche“ oder „Benutzt“ müssen eben vor Erotika beschützt werden.

amazon-erotik


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Fotografin Tamara Amhoff-Windeler verstorben

Wie wir eben erfahren haben, ist gestern Tamara Amhoff-Windeler gestorben. Einige von Ihnen kennen vielleicht ihre Bilder aus Feigenblatt 13 „Zu dritt“, die eine intime Sinnlichkeit ausstrahlen.
Wir haben Frau Amhoff-Windeler nie persönlich getroffen, standen aber über die Jahre in sporadischem Kontakt mit ihr. In ihrem Leben scheint es einige größere Brüche gegeben zu haben – um so friedlicher war dagegen ihr Ende: Sie schlief ein und wachte nicht mehr auf. Auf ihrer Website www.tawantgarde.com können Sie sich ein Bild von ihren vielseitigen Aktivitäten machen. Das haben wir 2008 über sie geschrieben:

45„Verspielt und minimalistisch, ohne Dekor, schwarzweiß, mit Humor und Sensibilität“, so beschreibt Tamara Amhoff-Windeler ihre Aktfotografie. Die Bilder feiern das Schöne am Menschen, seine Ausstrahlung; sie bewegen sich zwischen Idealisierung und Individualität, für die Amhoff-Windeler den Modellen breiten Raum gibt. Für die technische Umsetzung greift sie am liebsten auf eine Nikon F90X zurück und bevorzugt ganz klassisch grobkörniges Barytpapier; eine digitale Nachbearbeitung gibt es nicht.
Tamara Amhoff-Windeler kam ursprünglich als Modell zur Fotografie. Während ihres Psychologiestudiums posierte sie unter anderem für Arlette Beressi, Cerruti und Vera Mont. Nach ihrem Studium wechselte sie auf die andere Seite der Linse, lernte People- und Modefotografie und machte sich damit selbständig. Nebenher ließ sie sich zur Visagistin und zur Farb- und Stilberaterin ausbilden. Nach einem Autounfall und einer längeren Unterbrechung in ihrem fotografischen Schaffen wandte sie sich der Aktfotografie zu. Ihre Frauen-, Männer- und Paar-Akte waren in zahlreichen Ausstellungen und Kalendern sowie in den Büchern „Von Frau zu Frau“ (2001), „two by two“ (2003) und „Man“ (2006) zu sehen. Zuletzt investierte sie den Großteil ihrer kreativen Energien in die Strandmodelinie „T.AW [AVANTGARDE]“.
Die folgenden Bilder stammen aus ihrem Bildband „Two by Two“; mit ihrem bildhaften Sujet wollte Sie die spielerische, unbefangene, porblemlose und liebenswert Seite des „Wir“ zeigen. „Es ist ein Miteinander, nicht ein Gegeneinander. Das eine zum anderen im Gegensatz möchte ich ausschließen. Auch das lachende und weinende in einer Beziehung hat seine bildhafte Berechtigung.“


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Wir hören (erstmal) auf

Liebe Freunde, liebe Leser und Abonnenten,

das neue Jahr beginnt mit einer schlechten Nachricht: Wir werden in absehbarer Zeit kein neues Feigenblatt herausgeben – jedenfalls nicht in der gewohnten Form. Das bedeutet, dass die geplante Märzausgabe zum Thema „Scham“ nicht erscheinen wird.

Als wir – mein Mann und ich – das Feigenblatt 2005 gegründet haben, hatten wir viel Zeit, Idealismus und überschüssige Energie. Mit der Geburt unserer Zwillinge gibt es nun zwei neue „Projekte“, die unsere volle Aufmerksamkeit verlangen. Eigentlich hatten wir geplant, nach unserer Babypause 2012 mit nur zwei Ausgaben mit der Märzausgabe wieder zum gewohnten Erscheinungsrhythmus zurückzukehren. Aber mehr und mehr ist uns klar geworden, dass wir eine Entscheidung treffen müssen, und zwar eine äußerst schmerzhafte.

Das Feigenblatt zu machen ist nicht irgendein Job. Die Arbeit daran war für uns immer eine Herzensangelegenheit. Viel Geld sprang dabei nie heraus, aber wir kamen auch so gut über die Runden. Die Woche vor dem Redaktionsschluss Tag und Nacht durchzuarbeiten, war kein Problem, da man hinterher Zeit zum Regenieren hatte. Wie wir aber bei den letzten beiden Ausgaben gemerkt haben, ist so eine Heftproduktion mit kleinen Kindern nur möglich, wenn man über deren Bedürfnisse hinweggeht – und das wollen wir beide nicht.

Die beiden sind allerdings nicht der einzige Grund, mit dem Feigenblatt vorerst aufzuhören. Sollten wir eines Tages wieder weitermachen, müssen wir einen Weg finden, Aufwand und Ertrag in ein besseres Verhältnis zu setzen. Und natürlich brauchen wir auch wieder die Neugier und den Enthusiasmus, um die Zeitschrift in der von Ihnen gewohnten Qualität machen zu können.

Dennoch ist die Entscheidung für uns bitter, da wir viel Zeit und Arbeit investiert haben, um so weit zu kommen. Wir wissen noch nicht, wie sich die Dinge entwickeln. Vielleicht machen wir in Zukunft ein Feigenblatt in digitaler Form, in unregelmäßigen Abständen. Auch ein fertiges Buchkonzept liegt neben vielen halbgaren Ideen in unserer Schublade. Jetzt brauchen wir erst einmal Zeit für uns ohne den Druck, jedes Vierteljahr etwas Außergewöhnliches produzieren zu müssen.

Die Website wird online bleiben und vielleicht eines Tages wieder Platz für aktuelle Gedanken und Nachrichten über Erotik und Sinnlichkeit sein. Auch der Online-Shop bleibt im Netz; wir wollen dort demnächst die Feigenblätter zusätzlich in elektronischer Form anbieten, die lieferbaren wie die vergriffenen.

Für die Abonnenten: wir werden im Lauf des Monats Kontakt zu Ihnen aufnehmen, um zu klären, was mit den verbleibenden Ansprüchen aus Ihren bezahlten Abonnements geschieht.

Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen Menschen, die am Feigenblatt mitgewirkt oder durch Kauf oder Anzeigenschaltung darin investiert haben, noch einmal herzlich bedanken für sieben Jahre Vertrauen und Unterstützung.

Herzliche Grüße
Anja Braun


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Feigenblatt 28 "Zwischen Kopf und Körper"

Cover von Feigenblatt 28 "Zwischen Kopf und Körper" Sex, das sind schwitzende, stöhnende Körper, jeder Gedanke durchs Empfinden verdrängt. Sex, das sind die Fantasien und Vorstellungen, die plötzlich unter der Hirnrinde wild durcheinander kopulieren, weil die Entscheidung zwischen geil und abgeschmackt im Kopf fällt.
Ja, was denn nun? Für Feigenblatt 28 „Zwischen Kopf und Körper“ haben wir uns das komplizierte Wechselspiel beider Sphären, die sich mal aufputschen und mal im Weg stehen, genauer angesehen.
Braucht guter Sex den Verstand? Klug fickt gut, antworten einhellig vier junge Erotik-Expertinnen bei einer Diskussionsrunde. In ihrem Essay erkundet Vicky Amesti den Reiz des Verbotenen und den Wunsch nach körperlicher Verschmelzung, um den es auch in einer literarischen „Anleitung zum Gruppensex“ geht.
Worte können die eigenen Sehnsüchte verraten, sie können sich aber ebenso zu kühnen Fantasien auftürmen, die vielleicht tiefer berühren als rein körperliche Liebe. Eine erlebte Fantasie ohne Worte und eine Leidenschaft in Kopf und Körper schildert eine anonyme Autorin.
Verwunschen, intim, aber auch bizarr: Jedes von Corwin von Kuhwedes Bildern erkundet seine eigene Welt und zieht an unterschiedlichen Nervenenden des Betrachters. Anders Sandra Torralbas grandiose Fotoserie Entfremdeter Sex: Pornografische Erwartungen haben sich über die natürlichen Bedürfnisse gelegt, Kopf und Körper stehen sich ratlos gegenüber.
Außerdem führen wir durch die erotischen Ecken von Paris, schwelgen in Versen von verborgenen Gerten und von Hinterbacken, entblößen Franz Beckenbauers Po – und verabschieden uns von unserer Kolumnistin Theresa Lachner.
Feine Bücher, neckische Spielzeuge, außergewöhnliche Ausstellungen, das Beste im Fernsehen: All das haben wir wie immer für Sie zusammengesucht. Ach ja: Falls Sie Shades of Grey noch nicht gelesen haben, erklären wir Ihnen, warum Sie das auch nicht tun sollten. Allein für diese Warnung lohnt es sich, das Feigenblatt für gerade mal 6 Euro zu bestellen oder besser gleich zu abonnieren!
Übrigens: Unsere Babypause ist quasi beendet. Das nächste Feigenblatt erscheint Anfang März, danach geht’s im gewohnten Dreimonatsrhythmus weiter.


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Demnächst in Ihrem Briefkasten: Feigenblatt 28

Feigenblatt 28 - frisch ausgepackt Die längste feigenblattlose Zeit seit Herbst 2005 ist endlich vorbei: Feigenblatt 28 „Zwischen Kopf und Körper“ liegt ab morgen in den Läden. Bei den Abonnenten sollte das Heft dieser Tage ankommen oder schon angekommen sein. Falls das nicht bis zum Ende der Woche passiert ist: Prüft bitte, ob ihr eure letzte Abo-Rechnung bezahlt habt oder ob ihr in letzter Zeit umgezogen seid, ohne uns die Adresse mitzuteilen – ein Nachsendeauftrag bei der Post hilft leider nicht.
Nachdem uns beide am Wochenende ein Infekt drei Tage lang ausgeknockt hat, hat sich die Belieferung der Händler und der Versand der Belegexemplare leider ein wenig verzögert, aber inzwischen sind die Briefe und Päckchen alle auf dem Weg zu euch. Ich wünsche euch (und auch Ihnen) viel Freude beim Lesen und freue mich über Rückmeldungen!
(Zum Heftinhalt gleich mehr hier auf dieser Seite)


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Porn Film Festival 2012, Tag – oh, ein Eichhörnchen!

Zack, auch schon wieder eine Woche her, dass das Porn Film Festival in Berlin zu Ende gegangen ist – und nicht nur bei mir hat sich Montagabend ein klein wenig Melancholie breit gemacht. Nach fünf Tagen freier Liebe mit schönen klugen Menschen ist das Runterkommen bei RTL Extra zum Thema „Gibt es bei Schwulen eigentlich immer einen Mann und eine Frau?“ mit Ross Anthony, der davon berichtet, „so eine typische Zicke“ zu sein, schon einigermaßen hart. Denn wenn es auf diesem Festival eins zu lernen gibt, dann, dass man seine sämtlichen endgültigen Ideen von Sexualität am Besten gleich flott über den Haufen schmeißen sollte. Falls es tatsächlich eine Art Gaydar gibt – hier funktioniert er nicht mehr. Scheißegal, ob sich die tätowierte gepiercte Frau gerade auf Großleinwand von einer Anderen den halben Unterarm in die Mumu hat stecken lassen und sich darüber ganz offensichtlich freut – im nächsten Moment knutscht sie dann doch mit ihrem Kumpel aus der Kinoreihe vor uns rum. Und hat der nicht eigentlich ziemlich schwul gewirkt? Und warum, genau, war das gleich wieder wichtig?
An einem Ort, an dem jeder einfach Mensch sein kann, passiert viel – und das nicht nur auf der Leinwand.

Bei mir stand Samstagabend Anne G. Sabos Buchpräsentation „After Pornified – How women are transforming pornography and why it really matters“ auf dem Programm. Die ehemalige Unidozentin, jetzt freie Autorin, Sexbloggerin und Mutter beschreibt in ihrem Buch mit dem einigermaßen selbsterklärenden Titel den Wandel in der Filmindustrie zu einer selbstbestimmteren (weiblichen) Sexualität – vor allem die Saufgeschichten mit der im Publikum anwesenden Creme de la Creme des FemPorn, Jennifer Lyon Bell und Erika Lust, trugen sehr zur allgemeinen Unterhaltung bei. Eine der Publikumsfragen von einem sich offensichtlich seiner schlimmen männlichen Sexualität schämenden Mannes, ob es denn nicht auch gute Pornos von männlichen Regisseuren gebe, konnte natürlich mit „Ja“ und „Tony Comstock“ beantwortet werden – den habe sie aus ihrer Aufzählung im Buch allerdings rausgelassen, meint Sabo. „You know, it seemed so cool, just us girls being in there!“, und ich so: äh? Ein bisschen schade, dann doch, nicht wahr? Wo sich so ziemlich jede halbwegs reflektierte Abhandlung zum Thema Pornofizierung damit auseinander setzt, dass weibliche Emanzipation nicht ausreicht, dass wir alle neue Bilder finden müssen, und dass nicht nur die durchgenagelte Silikonblondine Feierabend haben sollte, sondern auch der Muskelpenis ein nachhaltig ungutes Bild in den Köpfen unserer Männer hinterlässt. Dass wir neue Männer brauchen, die mehr sind als ihr Schwanz, weil nicht nur Frauen in Pornos extrem reduziert werden. Und egal ob das jetzt „cool“ ist, dass „wir Mädels“ uns mit diesem Thema auseinandersetzen – es reicht einfach nicht. Noch lange nicht. Und positiver Sexismus hilft da leider auch nicht weiter.

Anschließend gab´s bei mir Mondomanila. Wann immer Jochen einen Film als „radikal“ und „experimentell“ ankündigt, ist ansich schon Vorsicht geboten, und die Beschreibung als „urbanes Horroszenario auf Acid: punkig, anarchisch, lustvoll destruktiv“ war definitiv keine Untertreibung. Auf jeden Fall spannende…Ästhetik. Ne?

Generell mein Festivalhighlight in diesem Jahr: die Dokumentationen. Nebst dem zuvor angepriesenen Heaven/Hell hat mich besonders (A)sexual sehr berührt, und das, wie ich zu meiner eigenen Schande zugeben muss, tatsächlich auch aufgrund seines Zirkuscharakters.

Wo immer man sonst über Asexualität liest, werden verschwommene Gesichter gezeigt, die sich kunstvoll hinter großen Kaffeetassen oder Schattenrissen verbergen. Hier sprechen stinknormale Menschen ganz offen über ihre Veranlagung zum Nicht-Trieb. Dass sich die große Utopie der (sex-)freien offenen Netzwerkliebe im erweiterten Freundeskreis, von der David Jay, der charismatischste Protagonist geträumt hat, schlussendlich doch nicht durchsetzen lässt, weil sein Umfeld tiefe zwischenmenschliche Bindungen eben doch nicht ohne Sexualität definieren kann, lässt den Zuschauer fragend zurück. Ein nachhaltig beeindruckender Film.

Vom Kurzfilmpanel Masturbation Porn bleibt mir besonders Sadie Lune & Kay Garnellen´s Skypemelodram „Baby you´re frozen“ in Erinnerung. Jeder, der schon mal versucht hat, vor Sehnsucht in einen Bildschirm reinzukriechen oder einen Tobsuchtsanfall hatte, wenn der Bildschirm einfriert, kann nachvollziehen, was hier passiert:

Sexuality is increasingly lived through virtual formats. “Baby youre frozen” is a intensely personal and explicit look at the relationship between virtuality and intimacy; how virtual means facilitate connections of the heart and sex across great distances and time zones, but hinders feelings of closeness through digital obstacles. A raw and real portrayal of coping strategies for long-distance love in the 21st century where Skype sex is the best we get, but making love to a screen never satisfies the need for in-person physical intimacy with all of our senses.

Oh yes. Der Filmmaker in Focus -Abend war der großartigen Gala Vanting aus Australien gewidmet, die an Projekten wie Ishotmyself, Ifeelmyself oder dem Klassiker Beautiful Agony beteiligt war.
Ihr eigenes Projekt Sensate Films steht ganz im Zeichen von Slow Porn, und ich bin so was von dafür. Gebt der Frau all euer Geld, schaut euch ihre wunderschönen Filme an. Jetzt. Sofort. Und googelt mal Gentlemen Handling. Die Antwort auf all unsere Fragen. Nur besser.

Am Sonntag war ich, wie jeder vernünftige Mensch, extrem verkatert und Ovidie´s Infidélité hat´s tatsächlich auf keinem Auge besser gemacht. Nachdem ich zum ungefähr vierten Mal in diesem Setting aus unsympathischen Menschen beim unsympathischen Geschlechtsverkehr unsanft wieder aus dem Schlaf gerissen wurde, fand ich vollendete Verstörung bei W.R.Mysteries of the Organism.

Die – so hoffe ich im Nachhinein – auch nüchtern einigermaßen unverständliche Handlung (Jugoslawisches Kommunismusbumsen in den 1970ern zu Ehren von Wilhelm Reich? Something, something?) hat zumindest bei meinem Nebensitzer zu einem wahren Erguss an Anmerkungen und Notizen in seinem klugen kleinen Filmkritikerbüchlein geführt. Wenn du das hier liest, melde dich! Mich würde dann ja doch fast interessieren, wie´s ausgegangen ist.

Ich für meinen Teil war danach zumindest wieder wach genug für Cherry – die „mainstreamigste“ Produktion des Festivals mit James Franco (schon wieder!) und Heather Graham in Nebenrollen beschreibt in angenehm unsensationalistischen Bildern den Aufstieg eines hübschen Mädchens von „nur mal ein paar Bilder machen“ über Festisch-Lesbenszenen zu Uh!Penetration vor der Kamera. Diese erschien nach 5 Tagen rein-raus als fast unrealistisch missionarisch-bieder – doch schließlich wird hier weder die Geschichte vom gefallenen Mädchen erzählt, noch die vom großen, geilen Geld in der großen geilen Pornoindustrie. Es ist, was es ist, und im Gegensatz zu so vielen Geschichten von der Frau und dem Sex wird hier auf den klassisch-pseudomoralistischen Schluss verzichtet und es muss niemand für das ganze Rumgeficke seinen „gerechten“ Tod finden. Gute Sache in einem ansonsten größtenteils höhepunktsarmen (haha, ja, echt) Film.

Es ist, was es ist – das gilt auch fürs Porn Film Festival. Für viele von uns ist es eines der Highlights des Jahres – zum Beispiel für meinen Freund A., der beim Spanischen Kinderfernsehen arbeitet und in seiner Freizeit heimlich Sexfilme dreht und der Meinung ist, wir sollten das alle tun. Für R., die in Budapest nach einem nicht-phallischen Dildo sucht und im „alternativen“ Sexshop in Kreuzberg mit der Aussage, sie solle wiederkommen, wenn sie ihre Schwanzphobie überwunden hat, abgewimmelt wird. Für meine wunderbare F., der das alles eigentlich viel zuviel ist.
Und natürlich für mich, die ich gerade meine Diplomarbeit zu diesem ganzen leidigen Thema abgebe und mich jetzt erstmal in die große weite Welt aufmachen werde.
Für weniger Bildschirm und mehr so mit Anfassen.
Macht es gut meine Lieben, bleibt schön und wild, und auf bald!


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Porn Film Festival 2012, Tag 1 1/2

„Also Sex sells ja anscheinend, wa, so voll hab ich das Kino hier jedenfalls noch nie gesehn!“ konstatiert das neunmalkluge Hipsterkind in der Reihe vor mir, und tatsächlich: alles ist schön, alles ist wie immer, die Kinos voll und die Stimmung ausgelassen pubertär.

Für mich beginnt das in diesem Jahr besonders exquisite Programm mit Heaven/Hell, einer Doku über die tschechische BDSM-Szene. Die funktioniert ähnlich gut wie im vergangenen Jahr D/S – ich weiß nicht, ob dokumentierte Hobbysadomasochisten einfach eine gewisse Grundunterhaltsamkeit mit sich bringen, oder es diese besonders zärtlich-provinziellen Bilder sind, die einen nicht mehr loslassen. Wenn tschechische Tristesse auf Pony-Play trifft und sich ein neugieriges Kleinkind im Einkaufszentrum mit dem Computernerd in voller Pferdverkleidungsmontur anfreundet, bleibt jedenfalls kein Auge trocken.

Anschließend lief der – vermutlich nicht nur von mir – heiß erwartetste Spielfilm des Festivals überhaupt: I Want Your Love von Travis Mathews, der vor zwei Jahren mit seinem gleichnamigen Kurzfilm reihenweise Herzen gebrochen und den sofortigen Wunsch auf Reinkarnation in der Schwulenszene San Franciscos ausgelöst hat, liefert auch in der Langversion State-of-the-Art Hipsterporno in haarig-hyperrealistischen Bildern – lediglich ein paar der Dialoge außerhalb der diversen Betten schwächeln ein bisschen, aber Jesse Metzgers Welpencharme überstrahlt einfach alles – so sehr, dass Regisseur Mathews auch nicht persönlich anwesend sein konnte, weil Hollywood geklingelt hat und er gerade mit James Franco dreht. Big up!

Wie immer durchwachsen, äh, vielfältig: die Short Film Competition.

Mit Sao Paolo als Geliebter nivelliert „Love with the City“ zwischen Objektophilie und narzisstischer Flashergirl-Befriedigung und die masturbatorischen Kirchenszenen lassen Pussy Riot nach Ganztagskindergarten aussehen.

Antonio da Silvas „Bankers“ könnte eigentlich auch „Wankers“ heißen, denn genau das passiert, in seinem schier endlosen Versteckte-Kamera-Wackelfilmchen, das man zunächst geneigt ist, als relativ billigen Trick abzutun. Au contraire, der Regisseur hat sich tatsächlich in einem Londoner Restaurant im Financial District versteckt, und die titelgebenden Besucher beim mittäglichen Druckablassen gefilmt. Langweiliger Film, tolle Idee, eventuell hab ich jetzt auch die Pointe schon ausgeplaudert.

Unbedingt sehenswert dafür: Home vom spanischen Toytool Committee. Zwei Mädels aus Valencia, die es sich auf wunderschönen Möbeln wunderschön machen. Tatsächlich der einzige Beitrag der Short Film Competition, der auch zur Anregung, nicht nur zur Subversion oder Unterhaltung konzipiert ist – ich lasse mich diesbezüglich aber auch jederzeit von Pinocciofetischisten in wilde Debatten verwickeln, wenns sein muss.

Schon jetzt der heimliche Sieger der Herzen: Jan Soldat mit seinem Berlinalebeitrag „Zucht und Ordnung“, in dem er zwei brummelige schwule Berliner beim BDSM vor Gelsenkirchener Barock portraitiert. Wie der lebensgroße Porzellan-Collie stummer Zeitzeuge von zweckentfremdeten Wäscheklammern und Elektrofliegenklatschen wird, und immer mal wieder einer aufs Klo muss, weil nackig halt auch die Füße so schnell kalt werden, ist in seiner Poesie wirklich kaum in Worte zu fassen.

Erstes Highlight von Tag 2: Cabaret Desire, der neue Film von Erika Lust. In ihrem vierten Film vereint Frau Lust gekonnt Storytelling mit saftigen Sexszenen und mischt ein paar feministische Botschaften unter. „Fuck everything to be labeled and classified“, damn right, Erika! Besonders positiv fällt ihre Abkehr von den allzu hochglanzigen Darstellern auf. Auch für den schmächtigen Intellektuellen, die dralle Blonde und das ein oder andere Hämatom ist in Cabaret Desire Platz, und macht das ganze wesentlich greifbarer – auch wenn man natürlich meckern könnte und anmerken, dass sich die Sexszenen im Ablauf wenig unterscheiden. Aber wie die charismatische Frau Lust im anschließenden Publikumsgespräch erzählt: es entstammt alles ihrer Fantasie. Und genau das macht Pornofilmkritik auch so schwierig: klar kann man an der Technik rummäkeln – aber an Fantasien?

Die Gedanken sind frei und viele der Filme werden in den kommenden Tagen wiederholt
– ich freue mich erstmal auf die „After Pornified“-Lesung um 8 und den Filmmaker in Focus Abend mit Mor Vital. Kommt auch, freut euch mit!


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Neue Heftvorschau

Wer schon mal ein bisschen auf dieser Website herumgesurft hat, wird schon mal über die Heftvorschau gestolpert sein, mit der man in jede bisher erschienene Feigenblatt-Ausgabe hineinblättern kann – hier zum Beispiel in das aktuelle Heft.
Die Heftvorschau war bei den letzten Ausgaben allerdings ziemlich vernachlässigt. Außerdem hat sie ein Flash-Widget benutzt, das zunehmend mit unerträglichen Ladezeiten zu kämpfen hatte und dabei den ganzen Browser blockiert hat (sorry, falls Sie sich mal darüber geärgert haben). Ich bin heilfroh, dass wir das Ding jetzt endlich entsorgt haben.
Seit heute ist die neue Heftvorschau online: ohne Flash, funktioniert also auch auf Tablet und Telefon, lädt schneller und läuft anscheinend robust. Probieren Sie’s aus und sagen Sie Bescheid, wenn noch ein paar Murkeligkeiten drin stecken.