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Porn Film Festival 2012, Tag 1 1/2

„Also Sex sells ja anscheinend, wa, so voll hab ich das Kino hier jedenfalls noch nie gesehn!“ konstatiert das neunmalkluge Hipsterkind in der Reihe vor mir, und tatsächlich: alles ist schön, alles ist wie immer, die Kinos voll und die Stimmung ausgelassen pubertär.

Für mich beginnt das in diesem Jahr besonders exquisite Programm mit Heaven/Hell, einer Doku über die tschechische BDSM-Szene. Die funktioniert ähnlich gut wie im vergangenen Jahr D/S – ich weiß nicht, ob dokumentierte Hobbysadomasochisten einfach eine gewisse Grundunterhaltsamkeit mit sich bringen, oder es diese besonders zärtlich-provinziellen Bilder sind, die einen nicht mehr loslassen. Wenn tschechische Tristesse auf Pony-Play trifft und sich ein neugieriges Kleinkind im Einkaufszentrum mit dem Computernerd in voller Pferdverkleidungsmontur anfreundet, bleibt jedenfalls kein Auge trocken.

Anschließend lief der – vermutlich nicht nur von mir – heiß erwartetste Spielfilm des Festivals überhaupt: I Want Your Love von Travis Mathews, der vor zwei Jahren mit seinem gleichnamigen Kurzfilm reihenweise Herzen gebrochen und den sofortigen Wunsch auf Reinkarnation in der Schwulenszene San Franciscos ausgelöst hat, liefert auch in der Langversion State-of-the-Art Hipsterporno in haarig-hyperrealistischen Bildern – lediglich ein paar der Dialoge außerhalb der diversen Betten schwächeln ein bisschen, aber Jesse Metzgers Welpencharme überstrahlt einfach alles – so sehr, dass Regisseur Mathews auch nicht persönlich anwesend sein konnte, weil Hollywood geklingelt hat und er gerade mit James Franco dreht. Big up!

Wie immer durchwachsen, äh, vielfältig: die Short Film Competition.

Mit Sao Paolo als Geliebter nivelliert „Love with the City“ zwischen Objektophilie und narzisstischer Flashergirl-Befriedigung und die masturbatorischen Kirchenszenen lassen Pussy Riot nach Ganztagskindergarten aussehen.

Antonio da Silvas „Bankers“ könnte eigentlich auch „Wankers“ heißen, denn genau das passiert, in seinem schier endlosen Versteckte-Kamera-Wackelfilmchen, das man zunächst geneigt ist, als relativ billigen Trick abzutun. Au contraire, der Regisseur hat sich tatsächlich in einem Londoner Restaurant im Financial District versteckt, und die titelgebenden Besucher beim mittäglichen Druckablassen gefilmt. Langweiliger Film, tolle Idee, eventuell hab ich jetzt auch die Pointe schon ausgeplaudert.

Unbedingt sehenswert dafür: Home vom spanischen Toytool Committee. Zwei Mädels aus Valencia, die es sich auf wunderschönen Möbeln wunderschön machen. Tatsächlich der einzige Beitrag der Short Film Competition, der auch zur Anregung, nicht nur zur Subversion oder Unterhaltung konzipiert ist – ich lasse mich diesbezüglich aber auch jederzeit von Pinocciofetischisten in wilde Debatten verwickeln, wenns sein muss.

Schon jetzt der heimliche Sieger der Herzen: Jan Soldat mit seinem Berlinalebeitrag „Zucht und Ordnung“, in dem er zwei brummelige schwule Berliner beim BDSM vor Gelsenkirchener Barock portraitiert. Wie der lebensgroße Porzellan-Collie stummer Zeitzeuge von zweckentfremdeten Wäscheklammern und Elektrofliegenklatschen wird, und immer mal wieder einer aufs Klo muss, weil nackig halt auch die Füße so schnell kalt werden, ist in seiner Poesie wirklich kaum in Worte zu fassen.

Erstes Highlight von Tag 2: Cabaret Desire, der neue Film von Erika Lust. In ihrem vierten Film vereint Frau Lust gekonnt Storytelling mit saftigen Sexszenen und mischt ein paar feministische Botschaften unter. „Fuck everything to be labeled and classified“, damn right, Erika! Besonders positiv fällt ihre Abkehr von den allzu hochglanzigen Darstellern auf. Auch für den schmächtigen Intellektuellen, die dralle Blonde und das ein oder andere Hämatom ist in Cabaret Desire Platz, und macht das ganze wesentlich greifbarer – auch wenn man natürlich meckern könnte und anmerken, dass sich die Sexszenen im Ablauf wenig unterscheiden. Aber wie die charismatische Frau Lust im anschließenden Publikumsgespräch erzählt: es entstammt alles ihrer Fantasie. Und genau das macht Pornofilmkritik auch so schwierig: klar kann man an der Technik rummäkeln – aber an Fantasien?

Die Gedanken sind frei und viele der Filme werden in den kommenden Tagen wiederholt
– ich freue mich erstmal auf die „After Pornified“-Lesung um 8 und den Filmmaker in Focus Abend mit Mor Vital. Kommt auch, freut euch mit!


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Porn Film Festival 2011, Tag 1

Wie überlebt man 12 Stunden Pornokonsum am Stück? Gute Vorbereitung ist alles. Nebst ein paar prophylaktischen Besuchen im örtlichen Yogastudio zum Training von Rücken- und Gesäßmuskulatur empfiehlt sich nach wie vor der Erwerb von kleinformatigen Lebensmitteln, die spontan inhaliert werden können, wenn zwischen den Screenings, die man eigentlich alle sehen will, mal wieder keine Zeit bleibt, aus dem Kino zu rennen um einen Döner zu verstoffwechseln.

Auch sonst ist ein starker Magen manchmal von Vorteil, etwa wenn Plastikeinhörner Penisspitzen penetrieren bis es blutet, wie in GANG BANG BARBIE (mir egal ob das echt war oder nicht! Aua! Bäh!), oder ein ausgestopfter Fuchs mit einer Jelly-Vagina upgegradet wird (so gesehen in STUFFED).

So oder so ist das Porn Film Festival für uns Freaks sozusagen das Osterhasenchristkind im Latexkrankenschwesternkostüm, und wieder hier zu sein, fühlt sich an wie ein queeres Klassentreffen der Absonderlichkeiten – absonderlich nicht nur, weil sich tatsächlich alle freuen, einander wiederzusehen.

Es wird sich geküsst, in tausend Sprachen gleichzeitig geplappert. „Have Fun“, schreit es über den Gang, „Have Fetish“, kommt der Schmalspurwitz zurück. Im ersten Panel gibt es nämlich die Qual der Wahl zwischen „Fun Porn“ und „Fetish Porn“, bei mir fällt sie auf letzteres, und ich werde nicht enttäuscht. Neben eingangs erwähntem Pussyfuchs gab es viel zu sehen, vom schwulen SM-Kurzfilm „SPRING“, der sogar vom British Film Council gefördert worden war, über Manon des Gryeux „AUTO FUCK“ (man muss es fast selbst gesehen haben), bis hin zur Badewannen-Pieselnummer von Roy Raz. Besonders berührt hat mich „EGG“, und das liegt nicht nur daran, dass Sadie Lune und Kay Garnellen während der Vorstellung ein ebensolches durch die Kinoreihen reichen ließen. Eine Ode an Sexualität und Fruchtbarkeit, in glitschigen Close-ups mit Sigur Ros-Soundtrack und zwei ungewöhnlichen Hauptdarsteller/innen. „Well, I kind of like food in general“, so Sadie Lunes trockene Erklärung für die Zweckendfremdung.

Überhaupt ist es immer wieder toll, die Filmemacher, die oft auch Protagonisten sind, nach den Screenings persönlich kennenlernen zu können – nicht nur, um über Beweg- und Hintergründe sprechen zu können, sondern auch, weil man schon weiß, wie sie untenrum aussehen, was meistens ebenso lustig wie merkwürdig ist.

Im anschließenden „Female Porn“- Kurzfilmpanel gabs dann eine kleine Überraschung aus den eigenen Reihen: die Eheleute Braun auf Großleinwand, und das im Kurzfilm „Cum Different- Frauen machen´s anders“, den Katharina Szmidt größtenteils auf dem letztjährigen Festival gedreht hat. Da hat sie unter anderem auch die Feigenblatt- Chefetage zu guter und schlechter Pornographie befragt, ich erinnere mich an Ausdrücke wie „Stanzmaschinen“ aus dem Munde des Herrn Vorgesetzten, ein Must See also!
Weiters toll war „KAKTUS“, eine schräge Liebesgeschichte um eine Frau mit Vergewaltigungsfantasien und ihren dafür engagierten Callboy.

„VACATION“, der neue Film von Zach Clark, der letztes Jahr mit „Modern Love is Automatic“ das Festival eröffnet hat, kann mit dem Erstling nicht ganz mithalten, ist als eine Art lesbisches Sex and The City Noir am Strand jedoch dennoch sehr sehenswert.

„Hat dir was so gut gefallen, dass du einen Ständer bekommen hast?“ tuschelt es neben mir auf französisch vor Kinoeinlass. „Alter, den hab ich ungefähr seit heute morgen um elf“. Beim kollektiven Kicheranfall der süßen Jungs zucken wohl auch meine Mundwinkel verräterisch. „Ah, tu comprends?“ Romain und Hédi sind mit „ROSAMOUR“ hier, der in der Shorts Film Competition läuft. Zu sehen gibt es ihre beiden absurd beweglichen Bäuche in Halbtotale, die in einer Art Tanz miteinander zu kommunizieren scheinen. Verspielt, zärtlich, ein bisschen merkwürdig – ich bin begeistert, nicht nur von den Jungs.

Auch Maria vom Toytool Committee hat mir beim Quatschen im Kino von ihrem Kurzfilm L´AMOUR ET LA VIOLONCE erzählt. „You have to see it, it´s beautiful!“ – Wir sehen ein lesbisches Paar beim Schmusen vor einer Leinwand, auf die ein Boxkampf projiziert ist. Maria soll Recht behalten.

RP Kahl folgt mit MIRIAM offensichtlich unserem Ruf nach mehr männlichen Masturbationsszenen und legt mutig gleich selbst Hand an. Löblich, löblich – auch wenn es angesichts der vielen Schwänze, die an diesem Kinotag gerubbelt wurden, noch etwas mehr braucht, um – zumindest mich – endgültig vom Hocker zu reißen.

Travis Mathew´s IN THEIR ROOM, BERLIN zum Beispiel. Sein Teaserfilm I WANT YOUR LOVE war ja mein Highlight letztes Jahr, dass er nun als „Filmmaker in Focus“ portraitiert wurde, freut mich deshalb natürlich besonders. Semidokumentarisch zeigt Mathesw hübsche schwule Männer in ihren eigenen vier Wänden und zeichnet so ein bittersüß – berührendes Bild vom Leben und Lieben in der Großstadt, der Suche nach Intimität und Vertrautheit, oder doch einfach mal Sex. „Das sollte man Schulkindern zeigen!“ meint ein Typ im Publikum.

Nicht nur die würden an so einem Tag viel neues sehen – das Porn Film Festival steht auch 2011 für neue Perspektiven auf eigentlich althergebrachtes, ungewöhnliche Zugänge zu ungewöhnlichen Themen, und einen schwirrenden Kopf voll wilder, neuer Eindrücke.


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Porn Film Festival – Best Of

Es gibt ja diese Tage, die mit Frau Grey beim Bukake beginnen – und damit weitergehen, dass die charmante junge Frau mit der man in der Schlange am Mädchenklo plaudert, sich später als Madison Young entpuppt. Tage, in denen man auf dem Weg von Saal 3 zu Saal 1 irgendwelche kleinformatigen Lebensmittel inhaliert, sich irgendwann über gar nichts mehr wundert und einen erigierten Penis auf Großleinwand nicht ungewöhnlicher findet als, sagen wir, eine Nase. Ja, das Porn Film Festival war nicht unanstrengend – aber auch ein einziger großer lustiger Spaß mit schönen Menschen in schöner Umgebung und wirklich spannenden neuen Inputs. Für alle, die aus unerfindlichen Gründen nicht dabei sein konnten, hier zumindest meine

Top 10 der zweckendfremdeten Gegenstände

– Barbiepuppen (zwei auf einmal)
– Football
– Baseballschläger (eine Szene, die vor allem den Chefredakteur ziemlich verstört hat)
– Pizzaroller
– Knäckebrot/ Fladenbrot
– Gemüse
– Frischhaltefolie (mit strategischen Aussparungen, damit das Kerzenwachs trotzdem schön wehtut)
– (ehemaliges) Schokoladeneclair
– (Kunstblut-) Fleischwunden

and the Winner is: ca. 50 Chopsticks, die ich gebündelt im Popo eines darüber sehr glücklichen Portraitierten in D/s – Une Comedie Sado-masochiste bewundern konnte – auch, aber nicht nur deswegen ein wahnsinnig sehenswerter Dokumentarfilm über stinknormale Menschen mit ungewöhnlichen Vorlieben, der einen im Silikon-Ficken-Einerlei angenehm daran erinnert, dass nicht nur perfekte Körper in perfekten Choreographien wahnsinnig perfekten Sex haben können.

Eine Tatsache, die auch Naomi Harris aufgefallen ist, die sich für ihren Bildband America Swings in 48 Monaten auf 38 Swingerpartys quer durch ganz Amerika photographiert hat – nackt, selbstredend, um möglichst nah ans Geschehen heranzukommen. Das ist ihr definitiv gelungen, auf ihren Bildern sieht man unverfälschte Lust und Lebensfreude – größtenteils allerdings doch eher soziologisch spannend als erotisch, aber definitiv abgedreht, unterhaltsam und dabei doch intim und nie bloßstellend.

In ihrer Lecture am Samstag gabs aber auch noch ein paar andere interessante Erkenntnisse: Amerikanische Swinger sind, anders als zumindest ich bisher angenommen hatte, keine gelangweilten Großstädter auf der Suche nach dem ultimativen Kick – auch Harris selbst beschreibt sich, als Wahl-Newyorkerin als jemand, die an ihren kurzen Wochenenden ihre Zeit eher mit Wäschewaschen und Wocheneinkauf verbringt als damit, über Latexlaken zu turnen. Auf dem Land verläuft das Leben in ruhigeren Bahnen, das nächste Kino ist oft fünfzig Meilen entfernt – die Nachbarn wohnen aber praktischerweise gleich nebenan, da liegt der Gang Bang wohl irgendwie nahe.

Der Prototyp des Amerikanischen Swingers ist somit Landei, außerdem weiß, Mittelschicht, gebildet und Republikaner – und gerade die Grenzen, die in einer scheinbar so tabulosen Subkultur bestehen, machen Harris´Projekt so extrem interessant. Bisexualität sei bei Frauen natürlich akzeptiert, erzählt sie – klar findet der Ehemann es scharf, wenn die Liebste einen Kurztrip nach Lesbos unternimmt, immerhin besteht ja dann immer die Möglichkeit, sie wieder zum Penis zu „bekehren“ – bei den Männern sieht die Sache natürlich vollkommen anders aus: Harris berichtet von Szenarien, in dem beim Gang Bang im Eifer des Gefechts ein Männerfuß den anderen berührt, und damit große Eklats ausgelöst werden – die Bekenntnis eines Mannes, man könne sich das ja zumindest theoretisch eigentlich schon mal vorstellen, würde selbstredend zur sofortigen Ächtung im Club führen.
Und auch mit safem Sex scheint es im Swingin´America nicht weit her zu sein: die Ignoranz der Paare, die das nicht brauchen, weil sie ja verheiratet sind und es nur mit anderen verheirateten Paaren tun, weswegen man ja unter sich bliebe ist es, die Harris bei der Dokumentation so enorm abgeschreckt hat, dass sie jetzt erst mal einen Naturbildband über ihre Heimat Kanada veröffentlicht.

Genug Text, es gibt auch Bewegtbilder:
Neben Des Jours Plus Belles Que La Nuit – Skin like Sun

dem erwartungsgemäß Wow!Wow!Wow!-wie-tollen neuen Film von Jennifer Lyon Bell gibt es für mich und für alle fleißigen Leser, die diesen Artikel bis hierher verfolgt haben, meinen absoluten Lieblingsfilm vom Kurzfilmwettbewerb 2010: I want your Love von Travis Mathews, einem Filmemacher aus San Francisco, der in seinen Filmen schöne schwule Männer, echte Intimität und emotionale Ehrlichkeit portraitiert.

Klingt gut, ist auch so – und auch für heterosexuelle Männer durchaus sehenswert. (Falls sie danach spontan schwul werden möchten: keine Angst, ging mir auch so). Langer Rede kurzer Sinn: HIER gibts den ganzen wunderschönen supertollen Kurzfilm als Stream – vorausgesetzt sie sind über achtzehn und befinden sich gegenwärtig nicht in einem Großraumbüro.

Man könnte noch ein paar tausend Zeichen lang weiterberichten, mal sehen ob sich die Chefetage da bemüßigt fühlt, den Sonntag hab ich ja dummerweise nicht mehr mitbekommen (Wer hat den Kurzfilmwettbewerb denn nun gewonnen?) – aber auch so wars definitiv eines der spannendsten, lustigsten und horizonterweiterndsten Wochenenden des Jahres.