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Porn Film Festival 2012, Tag – oh, ein Eichhörnchen!

Zack, auch schon wieder eine Woche her, dass das Porn Film Festival in Berlin zu Ende gegangen ist – und nicht nur bei mir hat sich Montagabend ein klein wenig Melancholie breit gemacht. Nach fünf Tagen freier Liebe mit schönen klugen Menschen ist das Runterkommen bei RTL Extra zum Thema „Gibt es bei Schwulen eigentlich immer einen Mann und eine Frau?“ mit Ross Anthony, der davon berichtet, „so eine typische Zicke“ zu sein, schon einigermaßen hart. Denn wenn es auf diesem Festival eins zu lernen gibt, dann, dass man seine sämtlichen endgültigen Ideen von Sexualität am Besten gleich flott über den Haufen schmeißen sollte. Falls es tatsächlich eine Art Gaydar gibt – hier funktioniert er nicht mehr. Scheißegal, ob sich die tätowierte gepiercte Frau gerade auf Großleinwand von einer Anderen den halben Unterarm in die Mumu hat stecken lassen und sich darüber ganz offensichtlich freut – im nächsten Moment knutscht sie dann doch mit ihrem Kumpel aus der Kinoreihe vor uns rum. Und hat der nicht eigentlich ziemlich schwul gewirkt? Und warum, genau, war das gleich wieder wichtig?
An einem Ort, an dem jeder einfach Mensch sein kann, passiert viel – und das nicht nur auf der Leinwand.

Bei mir stand Samstagabend Anne G. Sabos Buchpräsentation „After Pornified – How women are transforming pornography and why it really matters“ auf dem Programm. Die ehemalige Unidozentin, jetzt freie Autorin, Sexbloggerin und Mutter beschreibt in ihrem Buch mit dem einigermaßen selbsterklärenden Titel den Wandel in der Filmindustrie zu einer selbstbestimmteren (weiblichen) Sexualität – vor allem die Saufgeschichten mit der im Publikum anwesenden Creme de la Creme des FemPorn, Jennifer Lyon Bell und Erika Lust, trugen sehr zur allgemeinen Unterhaltung bei. Eine der Publikumsfragen von einem sich offensichtlich seiner schlimmen männlichen Sexualität schämenden Mannes, ob es denn nicht auch gute Pornos von männlichen Regisseuren gebe, konnte natürlich mit „Ja“ und „Tony Comstock“ beantwortet werden – den habe sie aus ihrer Aufzählung im Buch allerdings rausgelassen, meint Sabo. „You know, it seemed so cool, just us girls being in there!“, und ich so: äh? Ein bisschen schade, dann doch, nicht wahr? Wo sich so ziemlich jede halbwegs reflektierte Abhandlung zum Thema Pornofizierung damit auseinander setzt, dass weibliche Emanzipation nicht ausreicht, dass wir alle neue Bilder finden müssen, und dass nicht nur die durchgenagelte Silikonblondine Feierabend haben sollte, sondern auch der Muskelpenis ein nachhaltig ungutes Bild in den Köpfen unserer Männer hinterlässt. Dass wir neue Männer brauchen, die mehr sind als ihr Schwanz, weil nicht nur Frauen in Pornos extrem reduziert werden. Und egal ob das jetzt „cool“ ist, dass „wir Mädels“ uns mit diesem Thema auseinandersetzen – es reicht einfach nicht. Noch lange nicht. Und positiver Sexismus hilft da leider auch nicht weiter.

Anschließend gab´s bei mir Mondomanila. Wann immer Jochen einen Film als „radikal“ und „experimentell“ ankündigt, ist ansich schon Vorsicht geboten, und die Beschreibung als „urbanes Horroszenario auf Acid: punkig, anarchisch, lustvoll destruktiv“ war definitiv keine Untertreibung. Auf jeden Fall spannende…Ästhetik. Ne?

Generell mein Festivalhighlight in diesem Jahr: die Dokumentationen. Nebst dem zuvor angepriesenen Heaven/Hell hat mich besonders (A)sexual sehr berührt, und das, wie ich zu meiner eigenen Schande zugeben muss, tatsächlich auch aufgrund seines Zirkuscharakters.

Wo immer man sonst über Asexualität liest, werden verschwommene Gesichter gezeigt, die sich kunstvoll hinter großen Kaffeetassen oder Schattenrissen verbergen. Hier sprechen stinknormale Menschen ganz offen über ihre Veranlagung zum Nicht-Trieb. Dass sich die große Utopie der (sex-)freien offenen Netzwerkliebe im erweiterten Freundeskreis, von der David Jay, der charismatischste Protagonist geträumt hat, schlussendlich doch nicht durchsetzen lässt, weil sein Umfeld tiefe zwischenmenschliche Bindungen eben doch nicht ohne Sexualität definieren kann, lässt den Zuschauer fragend zurück. Ein nachhaltig beeindruckender Film.

Vom Kurzfilmpanel Masturbation Porn bleibt mir besonders Sadie Lune & Kay Garnellen´s Skypemelodram „Baby you´re frozen“ in Erinnerung. Jeder, der schon mal versucht hat, vor Sehnsucht in einen Bildschirm reinzukriechen oder einen Tobsuchtsanfall hatte, wenn der Bildschirm einfriert, kann nachvollziehen, was hier passiert:

Sexuality is increasingly lived through virtual formats. “Baby youre frozen” is a intensely personal and explicit look at the relationship between virtuality and intimacy; how virtual means facilitate connections of the heart and sex across great distances and time zones, but hinders feelings of closeness through digital obstacles. A raw and real portrayal of coping strategies for long-distance love in the 21st century where Skype sex is the best we get, but making love to a screen never satisfies the need for in-person physical intimacy with all of our senses.

Oh yes. Der Filmmaker in Focus -Abend war der großartigen Gala Vanting aus Australien gewidmet, die an Projekten wie Ishotmyself, Ifeelmyself oder dem Klassiker Beautiful Agony beteiligt war.
Ihr eigenes Projekt Sensate Films steht ganz im Zeichen von Slow Porn, und ich bin so was von dafür. Gebt der Frau all euer Geld, schaut euch ihre wunderschönen Filme an. Jetzt. Sofort. Und googelt mal Gentlemen Handling. Die Antwort auf all unsere Fragen. Nur besser.

Am Sonntag war ich, wie jeder vernünftige Mensch, extrem verkatert und Ovidie´s Infidélité hat´s tatsächlich auf keinem Auge besser gemacht. Nachdem ich zum ungefähr vierten Mal in diesem Setting aus unsympathischen Menschen beim unsympathischen Geschlechtsverkehr unsanft wieder aus dem Schlaf gerissen wurde, fand ich vollendete Verstörung bei W.R.Mysteries of the Organism.

Die – so hoffe ich im Nachhinein – auch nüchtern einigermaßen unverständliche Handlung (Jugoslawisches Kommunismusbumsen in den 1970ern zu Ehren von Wilhelm Reich? Something, something?) hat zumindest bei meinem Nebensitzer zu einem wahren Erguss an Anmerkungen und Notizen in seinem klugen kleinen Filmkritikerbüchlein geführt. Wenn du das hier liest, melde dich! Mich würde dann ja doch fast interessieren, wie´s ausgegangen ist.

Ich für meinen Teil war danach zumindest wieder wach genug für Cherry – die „mainstreamigste“ Produktion des Festivals mit James Franco (schon wieder!) und Heather Graham in Nebenrollen beschreibt in angenehm unsensationalistischen Bildern den Aufstieg eines hübschen Mädchens von „nur mal ein paar Bilder machen“ über Festisch-Lesbenszenen zu Uh!Penetration vor der Kamera. Diese erschien nach 5 Tagen rein-raus als fast unrealistisch missionarisch-bieder – doch schließlich wird hier weder die Geschichte vom gefallenen Mädchen erzählt, noch die vom großen, geilen Geld in der großen geilen Pornoindustrie. Es ist, was es ist, und im Gegensatz zu so vielen Geschichten von der Frau und dem Sex wird hier auf den klassisch-pseudomoralistischen Schluss verzichtet und es muss niemand für das ganze Rumgeficke seinen „gerechten“ Tod finden. Gute Sache in einem ansonsten größtenteils höhepunktsarmen (haha, ja, echt) Film.

Es ist, was es ist – das gilt auch fürs Porn Film Festival. Für viele von uns ist es eines der Highlights des Jahres – zum Beispiel für meinen Freund A., der beim Spanischen Kinderfernsehen arbeitet und in seiner Freizeit heimlich Sexfilme dreht und der Meinung ist, wir sollten das alle tun. Für R., die in Budapest nach einem nicht-phallischen Dildo sucht und im „alternativen“ Sexshop in Kreuzberg mit der Aussage, sie solle wiederkommen, wenn sie ihre Schwanzphobie überwunden hat, abgewimmelt wird. Für meine wunderbare F., der das alles eigentlich viel zuviel ist.
Und natürlich für mich, die ich gerade meine Diplomarbeit zu diesem ganzen leidigen Thema abgebe und mich jetzt erstmal in die große weite Welt aufmachen werde.
Für weniger Bildschirm und mehr so mit Anfassen.
Macht es gut meine Lieben, bleibt schön und wild, und auf bald!


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Porn Film Festival 2011 – Nachlese

Bekanntlich lebt der Mensch ja vom Porno nicht allein, deswegen habe ich es mir das restliche Wochenende nicht ganz so hardcore gegeben wie an Tag Eins – dafür war ich Freitag noch beim DIY FEMINIST PORN WORKSHOP der wunderbaren Jennifer Lyon Bell, die ich auch für meine Diplomarbeit interviewen durfte – dazu aber an anderer Stelle mehr.

Die Gay Porn-Kurzfilme am Freitagnachmittag fand ich persönlich eher durchwachsen, aber MATES von Antonio da Silva bleibt im Gedächtnis: schnelle Liebe, schnell geschnitten, Fuck and Go im Web 2.0. Im Anschluss gab es MADAME X: eine indonesische Komödie um eine transsexuelle Superheldin, die mit den Waffen einer Frau mit Homophobie aufräumt – bunt und flippig, aber mit ernsten Untertönen. Regisseur Lucky Kuswandi hat fast ebensoviel Charme wie sein Film, in seinem nächsten Projekt sollen ein paar Senioren einen Kriminalfall lösen – die gehen in Indonesien nämlich viel zu selten ins Kino, erzählt er.

Am Samstag wurde es lekker: über Willem van Batenburg hat sich ja Herbert schon hier ausgelassen, ich habe mir anschließend INDIETRO angeschaut und war begeistert. Wie der Titel verspricht, wird die Story in „Memento“-Manier rückwärts erzählt – in superschicker „Eyes Wide Shut“-Optik lotet ein gelangweiltes Paar seine Grenzen aus, und nicht nur BDSM-Königin Madison Young, sondern auch ihr Gegenpart William van Noland schaffen es, tatsächlich auch schauspielerisch zu überzeugen. Kaufen Sie, schauen Sie! Ein absolutes Highlight.

Danach ging es mit der Spannungskurve bei mir leider etwas bergab: von „Inside Flesh“, den „Filmmakern in Focus“ an diesem Abend, hatte ich bis jetzt nur einen Kurzfilm gesehen, der Plot in etwa: lethargische-ausgemergelte Emofrau lässt sich zu Industrialsound von Latexmonster mit Riesenschwengel schänden. Mensch, mal schauen was da noch kommt, dachte ich mir, und siehe da: lethargisch-ausgemergelte Emofrauen ließen sich zu Industrialsound von Latexmonster mit Riesenschwengel schänden! Nach der gefühlt siebzehnten Variation of the Same thing muss ich wohl irgendwie auf dem Gesicht meines Liebsten eingenickt sein und vor dem letzten Film schlagartig den Saal verlassen haben, falls da also noch irgendwas spannendes passiert ist, ab in die Kommentare damit! So kam es dann, dass mir die „New Tokyo Decadence-The Slave“ entging – das Original „durfte“ ich ja schon für unser wunderbares Filmsonderheft rezensieren, was mir eigentlich, ehm, auch schon gereicht hat.

Am Sonntag soll man sich ja bekanntlich höherem zuwenden, deswegen stand ART PORN auf dem Programm. War nicht alles super, aber die MOTHER OF PEARL von Ewelina Aleksandrowicz, in der Unterleib und Oktopus sich romantisch begegnen, sowie die LITTLE DEATHS von Ruth Lingford, einem Animationsfilm, der versucht, Orgasmen zu visualisieren, sind mir nachhaltig in Erinnerung geblieben.

Zum Abschluss gabs für mich N´SCHOT IN DE ROOS, den zweiten Langspielfilm von Willem van Batenburg. Mir hatte schon PRUMENBLOESEM am Tag zuvor sehr gut gefallen, und auch hier ist das Zusammenspiel von cheeky „Story“ (eine Frau wird von ihrem Ehemann „ausgetrickst“, doch mal mit einem anderen zu vögeln, durchschaut seinen perfiden Plan und rächt sich mit halb Amsterdam), flotten Retrohipsterdarstellern und doppelt lustigen Dialogen („jooo jooo, dat isch feiin!“ oder so, liebevoll untertitelt von Jennifer Lyon Bell) gut aufgegangen. Dass Willem van Batenburgs Karriere als Pornoregisseur nach diesem Film von 1983 ein abruptes Ende fand, hat einen eher traurigen Grund: Aids kam auf, und niemand wusste so recht, was das ist, und wie man damit umzugehen hat. Inzwischen schreibt er erotische Kurzgeschichten.
Hauptdarstellerin Diana de Koning, die gemeinsam mit dem Regisseur anwesend war, sieht immer noch top aus und beschreibt die Dreharbeiten im Publikumsgespräch als „väry nice föcking“ – so oder so ähnlich kommt das in den Filmen auch rüber, auf jeden Fall bedenkenlos für den Heimgebrauch geeignet und in Holland angeblich inzwischen allgemeingültig-cineastisches Kulturgut.

Eine Erfolgsgeschichte, die sich auch auf das Festival übertragen lässt: mal wieder wurden alle Besucherrekorde gebrochen, und das zu recht, wie ich finde, denn nirgendwo sonst gibt es so viel Raum für Schräg-Experimentell-Abstruses, und immer mal zwischendrin: absolut Großartiges. Ich freu mich sehr aufs nächste Jahr!


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Die Liebe und der Mega-Orgasmus. Ein Filmabend

Am Sonntag haben wir als Vorschau aufs PornFilmFestival zwei Filme von Jennifer Lyon Bell gezeigt, einer unserer Lieblings-Filmemacherinnen. Bei der Podiumsdiskussion kamen ein paar interessante Fragen auf. Jennifer erwähnte zum Beispiel, dass sie bei ihrem Spielfilm „Matinee“ die Sexszene nochmal drehen musste. Sie war zwar echt (so echt, wie eine Liebesszene vor der Kamera sein kann), sah aber nicht so aus – auch das kann also beim Filmen passieren.
Eine Frage bezog sich auf den Aufbau von „Skin like Sun“, der aus zwei aufeinanderfolgende Sexszenen eines Paares besteht. Ist das nicht pornomäßig, die Szenen einfach aneinanderzureihen? Im Gegenteil, meinte Jennifer: Anders als die Porno-Sehgewohnheiten suggerieren, ist das Liebesspiel in der Wirklichkeit meistens keine gerade Linie von null auf hundert, die notwendigerweise beim Mega-Orgasmus aufhört. Es gibt Unterbrechungen, es gibt ein Vorher und ein Nachher, und vielleicht gibt es ein zweites oder ein drittes Mal, wenn beide noch Lust aufeinander (und viel Zeit) haben.
Ich finde ja, man sollte „Skin like Sun“ Vierzehnjährigen in der Schule zeigen: „Liebe Kinder, so sieht Sex aus, wenn sich zwei Menschen wirklich gern haben. Vergesst die ganze Scheiße, die ihr auf YouPorn seht.“ Aber es dauert wahrscheinlich noch fünfzig Jahre, bis wir so weit sind.
Die lebendige Podiumsdiskussion und die anschließenden Gespräche im Foyer weckten bei uns die Vorfreude aufs PornFilmFestival. Dessen Leiter Jürgen Brüning brachte das eben fertig gewordene Programm mit. Wer sich für Sexualität und Film interessiert und in der Nähe von Berlin lebt (oder immer schon mal hinfahren wollte), sollte also unbedingt den 26. bis 30. Oktober im Kalender anstreichen. Ich kenne keinen Ort, wo man so viele angenehm schräge Menschen in entspannter Atmosphäre trifft wie dort. Aber wie immer lässt sich das Festival nur mit Selbstausbeutung finanzieren – jedes Mal könnte also das letzte Mal sein.


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Porn Film Festival – Best Of

Es gibt ja diese Tage, die mit Frau Grey beim Bukake beginnen – und damit weitergehen, dass die charmante junge Frau mit der man in der Schlange am Mädchenklo plaudert, sich später als Madison Young entpuppt. Tage, in denen man auf dem Weg von Saal 3 zu Saal 1 irgendwelche kleinformatigen Lebensmittel inhaliert, sich irgendwann über gar nichts mehr wundert und einen erigierten Penis auf Großleinwand nicht ungewöhnlicher findet als, sagen wir, eine Nase. Ja, das Porn Film Festival war nicht unanstrengend – aber auch ein einziger großer lustiger Spaß mit schönen Menschen in schöner Umgebung und wirklich spannenden neuen Inputs. Für alle, die aus unerfindlichen Gründen nicht dabei sein konnten, hier zumindest meine

Top 10 der zweckendfremdeten Gegenstände

– Barbiepuppen (zwei auf einmal)
– Football
– Baseballschläger (eine Szene, die vor allem den Chefredakteur ziemlich verstört hat)
– Pizzaroller
– Knäckebrot/ Fladenbrot
– Gemüse
– Frischhaltefolie (mit strategischen Aussparungen, damit das Kerzenwachs trotzdem schön wehtut)
– (ehemaliges) Schokoladeneclair
– (Kunstblut-) Fleischwunden

and the Winner is: ca. 50 Chopsticks, die ich gebündelt im Popo eines darüber sehr glücklichen Portraitierten in D/s – Une Comedie Sado-masochiste bewundern konnte – auch, aber nicht nur deswegen ein wahnsinnig sehenswerter Dokumentarfilm über stinknormale Menschen mit ungewöhnlichen Vorlieben, der einen im Silikon-Ficken-Einerlei angenehm daran erinnert, dass nicht nur perfekte Körper in perfekten Choreographien wahnsinnig perfekten Sex haben können.

Eine Tatsache, die auch Naomi Harris aufgefallen ist, die sich für ihren Bildband America Swings in 48 Monaten auf 38 Swingerpartys quer durch ganz Amerika photographiert hat – nackt, selbstredend, um möglichst nah ans Geschehen heranzukommen. Das ist ihr definitiv gelungen, auf ihren Bildern sieht man unverfälschte Lust und Lebensfreude – größtenteils allerdings doch eher soziologisch spannend als erotisch, aber definitiv abgedreht, unterhaltsam und dabei doch intim und nie bloßstellend.

In ihrer Lecture am Samstag gabs aber auch noch ein paar andere interessante Erkenntnisse: Amerikanische Swinger sind, anders als zumindest ich bisher angenommen hatte, keine gelangweilten Großstädter auf der Suche nach dem ultimativen Kick – auch Harris selbst beschreibt sich, als Wahl-Newyorkerin als jemand, die an ihren kurzen Wochenenden ihre Zeit eher mit Wäschewaschen und Wocheneinkauf verbringt als damit, über Latexlaken zu turnen. Auf dem Land verläuft das Leben in ruhigeren Bahnen, das nächste Kino ist oft fünfzig Meilen entfernt – die Nachbarn wohnen aber praktischerweise gleich nebenan, da liegt der Gang Bang wohl irgendwie nahe.

Der Prototyp des Amerikanischen Swingers ist somit Landei, außerdem weiß, Mittelschicht, gebildet und Republikaner – und gerade die Grenzen, die in einer scheinbar so tabulosen Subkultur bestehen, machen Harris´Projekt so extrem interessant. Bisexualität sei bei Frauen natürlich akzeptiert, erzählt sie – klar findet der Ehemann es scharf, wenn die Liebste einen Kurztrip nach Lesbos unternimmt, immerhin besteht ja dann immer die Möglichkeit, sie wieder zum Penis zu „bekehren“ – bei den Männern sieht die Sache natürlich vollkommen anders aus: Harris berichtet von Szenarien, in dem beim Gang Bang im Eifer des Gefechts ein Männerfuß den anderen berührt, und damit große Eklats ausgelöst werden – die Bekenntnis eines Mannes, man könne sich das ja zumindest theoretisch eigentlich schon mal vorstellen, würde selbstredend zur sofortigen Ächtung im Club führen.
Und auch mit safem Sex scheint es im Swingin´America nicht weit her zu sein: die Ignoranz der Paare, die das nicht brauchen, weil sie ja verheiratet sind und es nur mit anderen verheirateten Paaren tun, weswegen man ja unter sich bliebe ist es, die Harris bei der Dokumentation so enorm abgeschreckt hat, dass sie jetzt erst mal einen Naturbildband über ihre Heimat Kanada veröffentlicht.

Genug Text, es gibt auch Bewegtbilder:
Neben Des Jours Plus Belles Que La Nuit – Skin like Sun

dem erwartungsgemäß Wow!Wow!Wow!-wie-tollen neuen Film von Jennifer Lyon Bell gibt es für mich und für alle fleißigen Leser, die diesen Artikel bis hierher verfolgt haben, meinen absoluten Lieblingsfilm vom Kurzfilmwettbewerb 2010: I want your Love von Travis Mathews, einem Filmemacher aus San Francisco, der in seinen Filmen schöne schwule Männer, echte Intimität und emotionale Ehrlichkeit portraitiert.

Klingt gut, ist auch so – und auch für heterosexuelle Männer durchaus sehenswert. (Falls sie danach spontan schwul werden möchten: keine Angst, ging mir auch so). Langer Rede kurzer Sinn: HIER gibts den ganzen wunderschönen supertollen Kurzfilm als Stream – vorausgesetzt sie sind über achtzehn und befinden sich gegenwärtig nicht in einem Großraumbüro.

Man könnte noch ein paar tausend Zeichen lang weiterberichten, mal sehen ob sich die Chefetage da bemüßigt fühlt, den Sonntag hab ich ja dummerweise nicht mehr mitbekommen (Wer hat den Kurzfilmwettbewerb denn nun gewonnen?) – aber auch so wars definitiv eines der spannendsten, lustigsten und horizonterweiterndsten Wochenenden des Jahres.