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Kater/innenStimmung

Ich hatte viel vor mit euch vergangenen Donnerstag. Mein Text zum Weltfrauentag war schon zu 80% fertig und zu 90 % super – durchrecherchiert und gespickt mit unnützem Wissen, Zitaten von Caitlin Moran bis Stéphane Hessel, wütend aber versöhnlich, mit dem Ohr fürs Detail, mit der Totalen im Blick.
Ich war also bester Dinge, und Facebook hat mich gefreut wie schon länger nicht mehr – es war alles sehr viel rotziger als sonst, so superfein, dass ich sogar an Hey Mädels! DAS ist für euch!!!!-Bildern von kahlbrüstigen Fleischereifachangestellten und den allüberall DEN Feminismus und DIE Frau repräsentierenwollenden Pinktönen weniger Anstoß genommen habe als vielleicht nötig.

Nach ein paar Stunden ploppte in meinem Newsfeed die Frage auf, die ich mir selber irgendwann stellen musste: Warum machen wir das eigentlich nicht öfter? Wieso gibt es hier nicht auch an anderen Tagen so viele so genannte Frauenthemen? Mit derselben Inbrunst. Das wär doch mal ein Vorsatz, oder?
Ja J, das wärs. Warum verbringen wir alle nicht mehr Zeit damit, etwas zu feiern, worauf wir stolz sein können, anstatt uns zu vergleichen und niederzumachen? Warum braucht es einen Tag, an dem Themen aufs Parkett gebracht werden, mit denen wir uns auch an ca. 364,25 anderen Tagen pro Jahr rumschlagen müssen, ohne dass es irgendjemanden groß interessiert – wahrscheinlich, weil grad Fußball läuft, oder so?

Auf einmal bin ich mir schäbig vorgekommen. Wie der Typ, der nicht mehr mit seiner Freundin schläft und ihr zum Jahrestag Supermarktpralinen mitbringt. Ich wollte nicht euer Tankstellenblumenstrauß sein, das Trostpflaster für eine Beziehung die schon länger mehr oder weniger scheiße läuft, ohne dass jemand es ansprechen oder irgendwas dagegen tun würde.
Wie in jeder Beziehung, in der man Dinge niederschweigen muss um irgendwie noch ein bisschen froh sein zu können, tut es umso mehr weh, sobald sie dann doch mal jemand anspricht – wie in der arte-Doku „Die Herrschaft der Männer“, die ich mir also zur Feier des Weltfrauentags folgerichtig reingezogen hab.

Viel „Spaß“ damit – ich hab danach ein ziemlich volles Glas Sauvignon Blanc in der Badewanne geext. Denn Caitlin Moran hat leider recht:

These days, sexism is a bit like Meryl Streep, in a new film: sometimes you don’t recognise it straightaway. You can be up to 20 minutes in, enjoying all the dinosaurs and the spacefights and the homesick Confederate soldiers, before you go, ‚Oh my God – under the wig! That’s Meryl.‘

Nur weil etwas weniger sichtbar gemacht wird, heißt es nicht, dass es nicht da ist. Und so zucken wir zusammen, wenn wir diesem Sexismus in freier Wildbahn begegnen – sei es in verfahrenen Beziehungen oder in öffentlichen Debatten.

Auf den ersten Blick betrifft Pro-Quote nur einen kleinen Ausschnitt der Bevölkerung, dem auch ich zufällig angehöre: Frauen, die Medien machen. Die etwas reißen wollen in diesem aufregenden Job, sich der Wahrheitssuche verpflichten und gehört werden wollen. Wir sind voller Idealismus, gut ausgebildet, haben schon zwei, drei Themen ganz gut auf den Punkt gebracht – und wir sind angekotzt. Von 360 deutschen Tages- und Wochenzeitungen sind gerade mal zwei Prozent aller Chefredakteure weiblich, und das darf nicht so bleiben. Denn was wir täglich an Medieninhalten ausgewählt, aufbereitet und schlussendlich vorgesetzt bekommen, bestimmt in 98% der Fälle, richtig: ein Mann. Und so braucht es dann so etwas wie einen achten März, bis die Themen, die eben auch noch wichtig wären, plötzlich relevant genug sind. Ansonsten dürfen wir sie uns in fremdsprachigen Medien und „Special Interest“-Blogs gezielt zusammensammeln – und so prägen sie unser Weltbild nur, wenn wir uns von ihnen prägen lassen wollen.

Und genau deswegen ist diese Debatte so wichtig: sie zeigt, wo eben doch nicht alle so cool und aufgeklärt und gleichberechtigt sind, wie sie sich gern geben. Jan Fleischhauer hat Recht mit seinem Protest gegen den Streichelzoo-Journalismus:

Man kann die Quote moralisch aufladen und zu einer Frage der Gerechtigkeit machen, doch am Ende geht es um Macht. Es spricht für die nach oben drängenden Frauen, dass sie das so offen sagen. In jedem Fall beweisen sie mit ihrem Vorstoß deutlich mehr Schneid als die Männer, die auf den Posten sitzen, um die es jetzt geht. Ich kann die Frauen verstehen, die denken, dass es Zeit für einen Wechsel ist. Sie müssen sich ja nur die geduckten Solidaritätsadressen ihrer Chefs durchlesen, die sonst jede Woche verkünden, wie das Land zu retten sei, und nun ganz eilfertig den Stand ihrer Bemühungen rapportieren. Man wünscht sich fast, einer der Kerle an der Spitze hätte den Mumm zu sagen, warum er die ganze Quotendiskussion für Unsinn hält, das wäre wenigstens eine Position, über die man diskutieren könnte.

Gesagt, getan – Nicht Brüste, sondern Können fordert Alexander Görlach, von Beruf Chef beim European. Puh. Um mal bei Ihrer Rhetorik zu bleiben, Herr Görlach: ist Ihnen da irgendwie ungut der Pimmel auf der Tastatur ausgerutscht? Ich hoffe es für Sie. Ansonsten fällt mir nämlich keine einzig plausible Erklärung dafür ein, dass Sie, von Beruf immerhin Chef, Ihre komplette Argumentation auf einem einigermaßen schwachsinnigen Logikfehler aufbauen.

Es geht nämlich in den Medien darum, die besten Journalisten zu bekommen, nicht die weiblichsten, nicht die ostdeutschsten, nicht die muslimischsten. Es geht nicht um Mitleid, sondern um Qualifikation. „Eigentlich gab es ja zwei Männer, die besser waren als Sie, aber wir nehmen Sie, weil sie eine Frau sind.“ Nun bin ich vielleicht nicht der intimste Kenner der weiblichen Psyche, aber wenn ich eine Frau wäre – ich bin übrigens mindestens genauso gerne ein Mann wie ich Chefredakteur von The European bin –, wäre das die krasseste Abwertung, die ich mir vorstellen könnte. Nicht Brüste, sondern Können. Darum soll es gehen.

Haben Sie sich schon mal auf einen Job beworben, Herr Görlach, oder wurde einer wie Sie bereits als Chef geboren? Wahrscheinlich zweiteres, denn sonst wäre Ihnen unter Umständen unter der einen oder anderen Stellenausschreibung mal eine Phrase wie diese begegnet:

Bei gleicher Qualifikation werden Bewerber mit [beliebige Randgruppe hier einfügen] bevorzugt behandelt.

Da steht nicht „Brüste vor!“ oder „Behinderte an die Macht!“, Herr Görlach. Sondern lediglich, dass, wenn zwei genau gleichviel können, derjenige bevorzugt wird, der es anderswo vielleicht nicht würde. Weil er vielleicht Ausländer ist. Körperbehindert. Ostdeutscher. Oder schlimmer noch: eine Frau.
Da könnte ja jeder kommen, denkt sich auch ein besonders gewitzter Kollege aus der Schweiz. Und wer will dann als nächstes Chef werden? Haustiere? Kinder?

In wenigstens einem Punkt sind wir uns einig, Herr Görlach: auch ich finde es beschissen, dass es so etwas wie diese Initiative überhaupt geben muss. Dass es Mechanismen gibt, die verhindern, dass sich ganz von allein ein realistisches Abbild unserer Gesellschaft auf die Medienlandschaft überträgt.

Denn wir, no offense liebe körperlich eingeschränkten ostdeutschen Migranten, sind keine Randgruppe. Wir sind die Hälfte der Weltbevölkerung.

Wir, das sind die, die euch zur Welt gebracht haben. Die euch im Arm halten, wenn besagte Welt heut wieder ein Arschloch war. Wir, das sind die, die es euch besorgen, bis ihr den eigenen Namen im Personalausweis nachschlagen müsst. Wir, das sind die, die eure Kinder zur Welt bringen. Nebenberuflich. Wir sind die, die all das gebacken kriegen und oft genug lächeln dabei. Weil wir es lieben, all diese Dinge zu tun. Genausosehr, wie wir es lieben, Chef zu sein. Alles was wir dafür wollen, ist das, was uns ohnehin längst zusteht: Gerechtigkeit.