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Autorinnen-Interviews, Folge 3: Anna Blumbach

Für meinen Artikel „Verklemmtes Weltbild“ im aktuellen Feigenblatt „Mit Haut und Haar“ (Seite 81) habe ich Interviews mit drei Autorinnen erotischer Literatur geführt. Weil sie alle viel Interessantes zu erzählen hatten und der Platz im Heft begrenzt ist, veröffentlichen wir die kompletten Interviews auf der Website. Nach Corinna Rückert und Inka Loreen Minden schließen wir die Reihe mit Anna Blumbach ab. Blumbach war schon länger literarisch aktiv, bevor sie ihren ersten Erotikroman „Kurze Nächte“ bei Anais veröffentlichte; ihr zweites Buch „Glitzerregen“ wird Mitte Juli erscheinen.

Anna Blumbach, © Anne Behrndt / www.freielanze.deWürden Sie Ihre beiden Romane als „erotische Literatur“ bezeichnen – oder was wäre die Schublade Ihrer Wahl?Wenn mir jemand diese Frage stellt, dann sage ich immer, dass ich Romane schreibe, und wenn dann nachgefragt wird, worüber ich schreibe, ist meine Antwort: „Über das Leben“. Ich habe mich selbst schon gefragt, warum ich in solchen Situationen nicht einfach sage, dass ich erotische Literatur schreibe. Manchmal liegt es daran, dass ich mein Gegenüber nicht besonders gut kenne und deshalb keine Lust auf eine Reaktion habe, mit der ich gerade nicht umgehen mag. Manchmal liegt es daran, dass ich das dumpfe Gefühl nicht loswerde, dass eine Autorin, die „erotische Literatur“ verfasst, als „seriöse“ Schriftstellerin nicht gerade respektiert wird.

Es liegt aber vor allem daran, dass ich meine Bücher selbst nicht als explizit auf Erotik fokussiert ansehe. Meiner Ansicht nach drehen sich die Geschichten tatsächlich (bloß) um das/ein Leben, sind also Romane im ganz klassischen Sinne, allerdings wird in meinen Büchern der Sex, der im Leben nun einmal auch vorkommt, nicht ausgespart, umschrieben oder bloß angedeutet.Wie sind Sie auf die Idee gekommen, erotische Romane (ich bleibe mal bei diesem Begriff) zu schreiben?Nein, ich bin nicht auf die Idee gekommen, eines Tages solche Romane zu schreiben. Meine erste Geschichte, die ich geschrieben habe, war eine Kurzgeschichte, eine Kindheitserinnerung – völlig naiv, sehnsüchtig und in dem Bestreben, etwas festhalten zu wollen, das ich nicht vergessen wollte. Einige Jahre lang habe ich dann hauptsächlich Kurzgeschichten und Gedichte geschrieben. Diese beiden literarischen Genres mag ich am liebsten.

Irgendwann drehte es sich dann in diesen Texten auch mal um Liebesdinge, aber ich hatte immer das Gefühl, ich dürfte nicht zu explizit über Sex schreiben, weil … das ist dann ja keine richtige Literatur – aber ich wollte richtige Literatur produzieren, damals mit Anfang zwanzig. Aber mit Ende zwanzig und einer Menge gelesener Bücher von anderen AutorInnen, da begann ich mich beim Lesen neuer Bücher immer öfter zu langweilen. Ich vermisste die Themen, die mich beschäftigten, ich wollte Antworten, und noch viel lieber hätte ich – bitte schön – Lösungskonzepte für meine Probleme in meiner Lebenslage präsentiert bekommen, aber ich wollte keine Ratgeber lesen, ich wollte Inspiration und Provokation.

Also nein, es gab keine Idee und keinen Plan, solche Bücher zu schreiben, ich habe mit meinem ersten (bisher unveröffentlichten) Roman im Grunde bloß geschrieben, was ich selbst gern gelesen hätte. In diesem Buch drehte es sich um das Leben in den Neunzigern in Berlin und den Jugoslawienkrieg. Ich habe dieses Manuskript damals aber nirgends eingereicht, weil mir klar war, dass dieser Stil und dieser Inhalt auf dem damaligen Literaturmarkt keine Chance gehabt hätte. Immerhin habe ich für den Titel eine Menge Insider-Ruhm-und-Ehre eingeheimst.

Mit Ende zwanzig wollte ich also unbedingt schreiben, was ich loswerden musste, und ich hatte inzwischen genügend Selbstbewusstsein, um auf keine Buchmarktverwertbarkeit zu schielen. Völlig theatralisch ausgedrückt: Ich musste dieses Buch einfach schreiben. Mit allem, was dort hinein gehörte, und sei es explizit beschriebener Sex in versautester Sprache. Derart von den großen Vorbildern, der Verwertbarkeit und den eigenen (alten) Ansprüchen gelöst zu schreiben, hat wahnsinnig Spaß gemacht – und in der Tat habe ich seitdem immer wieder diese wirklich guten Flow-Momente beim Schreiben.Wie hat Ihr Umfeld darauf reagiert?Mein engerer Freundeskreis weiß ja schon seit Jahrzehnten, dass ich manchmal eben auch solche Texte schreibe. Und Fremden binde ich meine Veröffentlichungen nicht unbedingt auf die Nase. Mein Sohn weiß inzwischen, dass ich „Bücher für Erwachsene“ schreibe, und dass er, falls er einmal in der Schule oder anderswo Stress deshalb bekommen sollte, hoffentlich den Mut haben wird, selbstbewusst damit anzugeben, dass seine Mutter gutes Geld damit verdient. Ich möchte wirklich nicht, dass er unter den Vorurteilen von Vollpfosten zu leiden hat, weil ich solche Bücher schreibe. Das ist im Grunde meine größte Sorge, was die Reaktion eines „Umfeldes“ betrifft.

Allerdings hätte ich auch ohne Kind ein Pseudonym gewählt, weil ich ja nicht sicher sein konnte, von meinem Schreiben leben zu können und mit dieser Biographie, wohlmöglich auch noch im Netz veröffentlicht, eine Arbeit zu finden, würde sicher nicht einfach werden, dessen war ich mir sicher.Schreiben Sie (noch) unter anderen Namen in anderen Genres?In den letzten Jahren sind einige Gedichte in diversen Anthologien (wie es immer so schön heißt) unter meinem bürgerlichen Namen erschienen.Ihre beiden Romane sind aus der Ich-Perspektive geschrieben. Wieviel Autobiografie steckt darin und wieviel erfinden Sie?Diese Frage ärgert mich schon seit Jahren. Aber ich möchte mich nun doch einmal dazu äußern. Vor Kurzen hatte ich mich in einem Gespräch mit einem Autor genau über diese sehr häufig gestellte Frage mokiert. Ich sagte ihm, dass meine Bücher nicht mit dem Wörtchen „Autobiographie“ untertitelt seien, und dass doch wohl niemand auf die Idee käme, Stanislaw Lem zu fragen, wie es denn auf dem Mars so gewesen sei, da sagte er: „Aber diese Frage musst du dir gefallen lassen, weil doch das Geschriebene deinem Kopf entsprungen ist.“

Nun gut, dem kann ich nicht wiedersprechen. Stimmt schon. Mein Kopf – mein Text. Und umgekehrt. Aber ich habe mich nun ganz divenhaft dazu entschlossen, dieses Geheimnis nicht zu lüften. Nur soviel dazu: Ich würde gern einmal einen Roman schreiben, der einen längeren Zeitraum von einer Minute zur nächsten glaubwürdig beschreibt und vom Anfang bis zum Ende mordsmäßig spannend bleibt.Ich habe den Eindruck, dass sich deutsche Belletristik-Autoren selten lustbetont mit Sex auseinandersetzen und dieses Thema komplett in ein „Erotik“-Genre abgeschoben wird. Sehen Sie das auch so – und woran könnte das liegen?Ja, das sehe ich auch so. Und ehrlich gesagt, finde es wirklich schade. Wieso sollte man/frau keine großartige Weltliteratur verfassen, in der auch sexy Sex auftaucht? Allerdings muss ich zugeben, dass Lady Chatterleys Glockengebimmel, als Um- oder Beschreibung ihres Orgasmus‘, dann doch nicht meiner Erlebniswelt entspricht, zugegeben, es allerdings auch schlecht kann, weil ja beinahe ein Jahrhundert zwischen uns liegt.

Ich denke also, dass es schon sehr schwierig ist, Sex glaubwürdig und lustvoll (ob gut oder schlecht), in einer adäquaten Sprache zu beschreiben. Wie schnell es einen aus einer Szene hauen kann, wenn man sich im Eifer des Gefechts ganz plötzlich an einem Wort aufhängt? Das ist im wahren Leben ja ebenso. Aber meines Erachtens ist das größte zu überwindende Problem die Peinlichkeit. Einerseits die Scham beim Schreiben: „Was denkt denn jetzt die ganze Welt von mir?“, und dann die peinliche Betretenheit der Rezipienten, die sich dann tatsächlich ihren Teil beim Lesen denken.

Ich schlage vor, dass es die SchriftstellerInnen doch bitte öfter einfach machen sollten. „Scham ist nichts für Schriftsteller“, sagte Philip Roth in einem Interview und da gebe ich ihm recht. Ich habe den Anspruch, authentisch wirkende Geschichten zu schreiben, weil ich selbst gern beim Lesen berührt werde und mich mit den Charakteren identifizieren können möchte oder mich meinetwegen auch abgestoßen fühlen – nur muss der Text schon etwas mit mir machen, ansonsten klappe ich das Buch sehr schnell wieder zu.

Aber die Scham beim Schreiben auszublenden, das ist nun einmal nicht so einfach, wenn man ein Kind hat, Eltern, Verwandte und Bekannte, von denen man genau weiß, dass man sie mit seinen geschriebenen Texten verletzen und/oder abstoßen könnte. Das verstehe ich schon.Wissen Sie etwas von Ihren Lesern? Bekommen Sie da Rückmeldungen?Ja, da gibt es ganz schöne Geschichten, auf die ich selbst nie gekommen wäre. Ein Mann erzählte mir, er hätte „Kurze Nächte“ neben seinem Bett liegen gehabt, als seine neue Freundin es zur Hand nahm und darin herumblätterte. Sie blieb an einer Stelle hängen, die ihr vom Ablauf der Geschehnisse bekannt vor kam und sprach ihn darauf an. Unter großen Mühen musste er sie dann davon überzeugen, dass er es noch gar nicht so weit gelesen hatte. Es tut mir zwar leid, dass er wegen meines Buches Stress gehabt hatte, aber die Tatsache, dass ein Buch dermaßen in ein Leben eingreifen kann, das erstaunt mich schon sehr.

Ein anderer Mann erzählte mir, er würde seinen Freundinnen (der Ex und der jetzigen) bestimmte Passagen aus meinem Buch vorlesen, was ihnen wohl sehr gut gefallen würde. Auch eine Lesevariante, auf die ich selbst nicht gekommen wäre. Einige Frauen waren immerhin so mutig, mich wissen zu lassen, dass sie beim Lesen „angeturnt“ werden wollen und es gerade deshalb gekauft hätten.

Ein Freund sagte mir, dass er sauer auf mich sei, weil ich als Autorin gerade in den Sexszenen an einigen Stellen viel zu gern ironisch reinflanke, und ich möchte dies doch bitte in Zukunft bleiben lassen, weil ich ihm „die Stimmung“ damit verderbe. Und es gibt LeserInnen, die mir offen sagten, dass sie die Sexszenen ausgelassen haben, weil sie gerade nicht „so“ drauf seien, aber dass sie ihre Lieblingsgeschichten im Buch hätten. Daraus entnehme ich, dass es sich offenbar auch ohne die Sexpassagen ganz gut lesen lässt.Lesen Sie selbst erotische Literatur? Was gefällt Ihnen, was lehnen Sie ab?Früher habe ich alles von Henry Miller gelesen – ist er ein Erotikautor? Seine Bücher mochte ich sehr, gerade auch wegen seiner Schamlosigkeit, der Sprache und des Tiefgangs. Heute würde er mir wohl nicht mehr so sehr zusagen, weil sein Frauenbild völlig verklärt ist, von wegen Heilige und/oder Hure. Das ist mir zu simpel. Durch ihn bin ich auf Anais Nin gestoßen, aber ihre Sprache ist mir zu gewollt gewählt. Entschuldigung, aber ihre Texte sind mir zu schnulzig.

„Schweinerei“ von Marie Darrieussecq hat mir damals ganz gut gefallen. Ich habe auch einige Bestseller gelesen, um mich etwas schlau zu machen, was und wie andere AutorInnen „darüber“ schreiben. Aber ich kann mich inzwischen leider des Eindrucks nicht erwehren, dass AutorInnen, die über Sex schreiben, anerkannter sind, wenn der Sex in ihren Büchern negativ beschrieben wird, als Trauma, sich die Protagonisten in der Opferrolle befinden, oder sich gar damit selbst verletzen wollen. In diese Kategorie gehören für mich beispielsweise „Elementarteilchen“ von Michel Houellebecq oder auch „Axolotl Roadkill“ von Helene Hegemann.

Bücher, in denen die Protagonisten ihren Spaß daran haben, strotzen leider vor an den Haaren herbei geschriebenen Situationen, in denen es einigermaßen plausibel ist, dass jetzt der Sex stattfindet. Und dann gibt es noch die Bücher, in denen unter dem Deckmantel der Lustigkeit und Ironie einfach alles passieren kann.

Also nein, ich gehe nicht los und kaufe mir explizit erotische Literatur. Ich wäre sehr dankbar für einige gute Tips. Das letzte Buch aus diesem Genre, das ich gern gelesen habe, war „Frühling und so“ von Rebecca Martin, weil die Geschichte authentisch wirkte, und es mich ungemein interessiert hat, wie die junge Mädchen heute ticken. Außerdem gefiel mit die „Denke“ der Protagonistin.


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Anna Blumbach: Kurze Nächte

Eva will einfach nicht erwachsen werden. Dabei hat die umtriebige Berlinerin genug Probleme am Hals: Die arbeitslose Architektin lebt von Hartz IV, hat eine verkrachte Beziehung hinter sich und ist Mutter – eine Rolle, die sie so gut es geht ausfüllt. Doch in den Wochen, in denen ihr Ex-Freund die Erzieherschichten übernimmt, versucht sie, mit ihrem Gefühlschaos fertigzuwerden und auf nächtlichen Disko-Streifzügen ihre Sehnsucht zu stillen.
Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, beschreibt Anna Blumbach die exzessiven erotischen Abenteuer ihrer Heldin, zum Beispiel mit Tom, dem besten Freund und Frauenversteher, oder Kolja, dem exzentrischen Künstler. Bei allem sexuellen Genuss wirken diese Eskapaden oft wie ein Versuch, das Fragezeichen auszuradieren, das über Evas Zukunft steht. Blumbachs derbe Sprache liest sich anfangs ungewohnt, aber sie schafft auch eine starke Nähe zur Protagonistin und ihren Gefühlen. Mancher wird darunter Situationen entdecken, die er selbst so ähnlich schon einmal erlebt hat. Ein lustvolles und offenes Buch, das tiefer schürft, als es den Anschein hat.