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Doing Orgasm

Soll noch einer behaupten, Uni hätte nichts mit dem echten Leben zu tun – ich hatte eben bei der Literaturrecherche für meine Diplomarbeit einen Lachanfall, für den es von den anderen Bibliotheksgespenstern ganz böse Blicke gab. Viel Spaß mit dem Best of Doing Orgasm – wer sich nicht wiederfindet, werfe den ersten Stein.

Die gesellschafltichen Definitionen des männlichen und weiblichen Orgasmus haben ganz reale Konsequenzen für alltäglich heterosexuelle Praxen. Da weibliche Orgasmen als nicht ´offensichtlich´ gelten, sind Frauen zur spektakulären, geräuschvollen Zurschaustellung ihrer Orgasmen aufgefordert (Potts 2000; Roberts et al. 1995). Da der Orgasmus zudem als ´Höhepunkt´ des sexuellen Erlebens verstanden wird, ist seine Abwesenheit gleichbedeutend mit einem gescheiterten oder unvollständigen sexuellen Erlebnis, das sein eigentliches Ziel verfehlt hat. Der Orgasmus des Mannes gilt beim heterosexuellen Geschlechtsverkehr als quasi unvermeidbar, während der Orgasmus der Frau dem Mann Arbeit und Kompetenz abverlangt; entsprechend bestätigt eine spektakuläre Orgasmusdarstellung der Frau das sexuelle Können ihres Partners.

„Dass Lautstärke unabdingbar ist (…) weist darauf hin, dass Heterosexualität hier zu einer Ökonomie wird, in der der Orgasmus der Frau gegen die Arbeit des Mannes getauscht wird.“ (Roberts et al. 1995; vgl. auch Jackson/Scott 2007) Der fehlende Orgasmus der Frau kann ein Zeichen ihres eigenen sexuellen Erfahrens, aber auch ein Hinweis auf die mangelhafte Technik ihres Partners sein. Daraus erklärt sich der Druck auf die Frau, den Mann zu bestätigen, Beweise für ihren Orgasmus vorzubringen oder ihn, falls notwendig, vorzutäuschen. Auch hier wird ersichtlich, wie sexuelle Aktivitäten in die alltägliche Sozialität eingebettet sind: Die Bestätigung, die Frauen ihren Partnern zukommen lassen, ist Teil der „Gefühlsarbeit“, mit der heterosexuelle Beziehungen aufrechterhalten werden (vgl. Duncombe/Marsden 1993; 1996), und fügen sich in die allgemeine Erwartung an Frauen, „Egos zu streicheln und Wunder zu pflegen“ (Bartky 1990).

Hier lassen sich mehrere Paradoxa diagnostizieren. Der männliche Leistungsethos verlangt danach, dass Frauen ihre Orgasmen überzeugend darstellen; die Vorstellung von Frauen als passive Empfängerinnen männlichen Könnens fordert Frauen ab, „ihr Hirn aktiv zu gebrauchen, um den Körper (das Körper-Sein) performen zu können“ (Roberts et al. 1995: 530); die `Wertschätzung´, die eine Frau (S.119) der sexuellen Arbeit des Mannes zukommen lässt, bedarf einer erheblichen Megne emotionaler Arbeit, damit eine authentisch erscheinende Performance hingelegt werden kann, die das Können des Partners angemessen bestätigt.

Als Zuckerl gibts dann sogar noch ein paar handfeste Tips aus der Praxis:

Im Umgang mit diesen Paradoxa muss ein ebenfalls erhebliches Maß an Interpretationsarbeit geleistet werden. Frauen müssen die Reaktion ihrer männlichen Partner verstehen, und eine ausgefeilte Orgasmusdarstellung hinlegen. Wie Robert et al. Zeigen, wird eine zu theatralische und extravagante Zurschaustellung nämlich leicht als Simulation enttarnt; subtilere Performances sind überzeugender. Roberts et al. Äußern auch die Vermutung, dass Frauen Expertinnen auf dem Feld der Täuschung sind: Die meisten Frauen in ihrem Sample gaben zu, dass sie gelegentlich Orgasmen vorgetäuscht hatten, aber nur wenige der befragten Männer glaubten, bereits Sex mit einer Partnerin gehabt zu haben, die ihnen einen Orgasmus vorspielte.

„Doing Orgasm“ in: Jackson, Stevi und Scott, Sue: Putting the Interaction back in to Sex. Für eine interpretative Soziologie der verkörperten Lust. zitiert nach: Keller, Reiner und Meuser, Michael (Hrsg.): Körperwissen. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Springer Fachmedien Wiesbaden 2011

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