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Porn Film Festival 2012, Tag – oh, ein Eichhörnchen!

Zack, auch schon wieder eine Woche her, dass das Porn Film Festival in Berlin zu Ende gegangen ist – und nicht nur bei mir hat sich Montagabend ein klein wenig Melancholie breit gemacht. Nach fünf Tagen freier Liebe mit schönen klugen Menschen ist das Runterkommen bei RTL Extra zum Thema „Gibt es bei Schwulen eigentlich immer einen Mann und eine Frau?“ mit Ross Anthony, der davon berichtet, „so eine typische Zicke“ zu sein, schon einigermaßen hart. Denn wenn es auf diesem Festival eins zu lernen gibt, dann, dass man seine sämtlichen endgültigen Ideen von Sexualität am Besten gleich flott über den Haufen schmeißen sollte. Falls es tatsächlich eine Art Gaydar gibt – hier funktioniert er nicht mehr. Scheißegal, ob sich die tätowierte gepiercte Frau gerade auf Großleinwand von einer Anderen den halben Unterarm in die Mumu hat stecken lassen und sich darüber ganz offensichtlich freut – im nächsten Moment knutscht sie dann doch mit ihrem Kumpel aus der Kinoreihe vor uns rum. Und hat der nicht eigentlich ziemlich schwul gewirkt? Und warum, genau, war das gleich wieder wichtig?
An einem Ort, an dem jeder einfach Mensch sein kann, passiert viel – und das nicht nur auf der Leinwand.

Bei mir stand Samstagabend Anne G. Sabos Buchpräsentation „After Pornified – How women are transforming pornography and why it really matters“ auf dem Programm. Die ehemalige Unidozentin, jetzt freie Autorin, Sexbloggerin und Mutter beschreibt in ihrem Buch mit dem einigermaßen selbsterklärenden Titel den Wandel in der Filmindustrie zu einer selbstbestimmteren (weiblichen) Sexualität – vor allem die Saufgeschichten mit der im Publikum anwesenden Creme de la Creme des FemPorn, Jennifer Lyon Bell und Erika Lust, trugen sehr zur allgemeinen Unterhaltung bei. Eine der Publikumsfragen von einem sich offensichtlich seiner schlimmen männlichen Sexualität schämenden Mannes, ob es denn nicht auch gute Pornos von männlichen Regisseuren gebe, konnte natürlich mit „Ja“ und „Tony Comstock“ beantwortet werden – den habe sie aus ihrer Aufzählung im Buch allerdings rausgelassen, meint Sabo. „You know, it seemed so cool, just us girls being in there!“, und ich so: äh? Ein bisschen schade, dann doch, nicht wahr? Wo sich so ziemlich jede halbwegs reflektierte Abhandlung zum Thema Pornofizierung damit auseinander setzt, dass weibliche Emanzipation nicht ausreicht, dass wir alle neue Bilder finden müssen, und dass nicht nur die durchgenagelte Silikonblondine Feierabend haben sollte, sondern auch der Muskelpenis ein nachhaltig ungutes Bild in den Köpfen unserer Männer hinterlässt. Dass wir neue Männer brauchen, die mehr sind als ihr Schwanz, weil nicht nur Frauen in Pornos extrem reduziert werden. Und egal ob das jetzt „cool“ ist, dass „wir Mädels“ uns mit diesem Thema auseinandersetzen – es reicht einfach nicht. Noch lange nicht. Und positiver Sexismus hilft da leider auch nicht weiter.

Anschließend gab´s bei mir Mondomanila. Wann immer Jochen einen Film als „radikal“ und „experimentell“ ankündigt, ist ansich schon Vorsicht geboten, und die Beschreibung als „urbanes Horroszenario auf Acid: punkig, anarchisch, lustvoll destruktiv“ war definitiv keine Untertreibung. Auf jeden Fall spannende…Ästhetik. Ne?

Generell mein Festivalhighlight in diesem Jahr: die Dokumentationen. Nebst dem zuvor angepriesenen Heaven/Hell hat mich besonders (A)sexual sehr berührt, und das, wie ich zu meiner eigenen Schande zugeben muss, tatsächlich auch aufgrund seines Zirkuscharakters.

Wo immer man sonst über Asexualität liest, werden verschwommene Gesichter gezeigt, die sich kunstvoll hinter großen Kaffeetassen oder Schattenrissen verbergen. Hier sprechen stinknormale Menschen ganz offen über ihre Veranlagung zum Nicht-Trieb. Dass sich die große Utopie der (sex-)freien offenen Netzwerkliebe im erweiterten Freundeskreis, von der David Jay, der charismatischste Protagonist geträumt hat, schlussendlich doch nicht durchsetzen lässt, weil sein Umfeld tiefe zwischenmenschliche Bindungen eben doch nicht ohne Sexualität definieren kann, lässt den Zuschauer fragend zurück. Ein nachhaltig beeindruckender Film.

Vom Kurzfilmpanel Masturbation Porn bleibt mir besonders Sadie Lune & Kay Garnellen´s Skypemelodram „Baby you´re frozen“ in Erinnerung. Jeder, der schon mal versucht hat, vor Sehnsucht in einen Bildschirm reinzukriechen oder einen Tobsuchtsanfall hatte, wenn der Bildschirm einfriert, kann nachvollziehen, was hier passiert:

Sexuality is increasingly lived through virtual formats. “Baby youre frozen” is a intensely personal and explicit look at the relationship between virtuality and intimacy; how virtual means facilitate connections of the heart and sex across great distances and time zones, but hinders feelings of closeness through digital obstacles. A raw and real portrayal of coping strategies for long-distance love in the 21st century where Skype sex is the best we get, but making love to a screen never satisfies the need for in-person physical intimacy with all of our senses.

Oh yes. Der Filmmaker in Focus -Abend war der großartigen Gala Vanting aus Australien gewidmet, die an Projekten wie Ishotmyself, Ifeelmyself oder dem Klassiker Beautiful Agony beteiligt war.
Ihr eigenes Projekt Sensate Films steht ganz im Zeichen von Slow Porn, und ich bin so was von dafür. Gebt der Frau all euer Geld, schaut euch ihre wunderschönen Filme an. Jetzt. Sofort. Und googelt mal Gentlemen Handling. Die Antwort auf all unsere Fragen. Nur besser.

Am Sonntag war ich, wie jeder vernünftige Mensch, extrem verkatert und Ovidie´s Infidélité hat´s tatsächlich auf keinem Auge besser gemacht. Nachdem ich zum ungefähr vierten Mal in diesem Setting aus unsympathischen Menschen beim unsympathischen Geschlechtsverkehr unsanft wieder aus dem Schlaf gerissen wurde, fand ich vollendete Verstörung bei W.R.Mysteries of the Organism.

Die – so hoffe ich im Nachhinein – auch nüchtern einigermaßen unverständliche Handlung (Jugoslawisches Kommunismusbumsen in den 1970ern zu Ehren von Wilhelm Reich? Something, something?) hat zumindest bei meinem Nebensitzer zu einem wahren Erguss an Anmerkungen und Notizen in seinem klugen kleinen Filmkritikerbüchlein geführt. Wenn du das hier liest, melde dich! Mich würde dann ja doch fast interessieren, wie´s ausgegangen ist.

Ich für meinen Teil war danach zumindest wieder wach genug für Cherry – die „mainstreamigste“ Produktion des Festivals mit James Franco (schon wieder!) und Heather Graham in Nebenrollen beschreibt in angenehm unsensationalistischen Bildern den Aufstieg eines hübschen Mädchens von „nur mal ein paar Bilder machen“ über Festisch-Lesbenszenen zu Uh!Penetration vor der Kamera. Diese erschien nach 5 Tagen rein-raus als fast unrealistisch missionarisch-bieder – doch schließlich wird hier weder die Geschichte vom gefallenen Mädchen erzählt, noch die vom großen, geilen Geld in der großen geilen Pornoindustrie. Es ist, was es ist, und im Gegensatz zu so vielen Geschichten von der Frau und dem Sex wird hier auf den klassisch-pseudomoralistischen Schluss verzichtet und es muss niemand für das ganze Rumgeficke seinen „gerechten“ Tod finden. Gute Sache in einem ansonsten größtenteils höhepunktsarmen (haha, ja, echt) Film.

Es ist, was es ist – das gilt auch fürs Porn Film Festival. Für viele von uns ist es eines der Highlights des Jahres – zum Beispiel für meinen Freund A., der beim Spanischen Kinderfernsehen arbeitet und in seiner Freizeit heimlich Sexfilme dreht und der Meinung ist, wir sollten das alle tun. Für R., die in Budapest nach einem nicht-phallischen Dildo sucht und im „alternativen“ Sexshop in Kreuzberg mit der Aussage, sie solle wiederkommen, wenn sie ihre Schwanzphobie überwunden hat, abgewimmelt wird. Für meine wunderbare F., der das alles eigentlich viel zuviel ist.
Und natürlich für mich, die ich gerade meine Diplomarbeit zu diesem ganzen leidigen Thema abgebe und mich jetzt erstmal in die große weite Welt aufmachen werde.
Für weniger Bildschirm und mehr so mit Anfassen.
Macht es gut meine Lieben, bleibt schön und wild, und auf bald!


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Porn Film Festival 2012, Tag 1 1/2

„Also Sex sells ja anscheinend, wa, so voll hab ich das Kino hier jedenfalls noch nie gesehn!“ konstatiert das neunmalkluge Hipsterkind in der Reihe vor mir, und tatsächlich: alles ist schön, alles ist wie immer, die Kinos voll und die Stimmung ausgelassen pubertär.

Für mich beginnt das in diesem Jahr besonders exquisite Programm mit Heaven/Hell, einer Doku über die tschechische BDSM-Szene. Die funktioniert ähnlich gut wie im vergangenen Jahr D/S – ich weiß nicht, ob dokumentierte Hobbysadomasochisten einfach eine gewisse Grundunterhaltsamkeit mit sich bringen, oder es diese besonders zärtlich-provinziellen Bilder sind, die einen nicht mehr loslassen. Wenn tschechische Tristesse auf Pony-Play trifft und sich ein neugieriges Kleinkind im Einkaufszentrum mit dem Computernerd in voller Pferdverkleidungsmontur anfreundet, bleibt jedenfalls kein Auge trocken.

Anschließend lief der – vermutlich nicht nur von mir – heiß erwartetste Spielfilm des Festivals überhaupt: I Want Your Love von Travis Mathews, der vor zwei Jahren mit seinem gleichnamigen Kurzfilm reihenweise Herzen gebrochen und den sofortigen Wunsch auf Reinkarnation in der Schwulenszene San Franciscos ausgelöst hat, liefert auch in der Langversion State-of-the-Art Hipsterporno in haarig-hyperrealistischen Bildern – lediglich ein paar der Dialoge außerhalb der diversen Betten schwächeln ein bisschen, aber Jesse Metzgers Welpencharme überstrahlt einfach alles – so sehr, dass Regisseur Mathews auch nicht persönlich anwesend sein konnte, weil Hollywood geklingelt hat und er gerade mit James Franco dreht. Big up!

Wie immer durchwachsen, äh, vielfältig: die Short Film Competition.

Mit Sao Paolo als Geliebter nivelliert „Love with the City“ zwischen Objektophilie und narzisstischer Flashergirl-Befriedigung und die masturbatorischen Kirchenszenen lassen Pussy Riot nach Ganztagskindergarten aussehen.

Antonio da Silvas „Bankers“ könnte eigentlich auch „Wankers“ heißen, denn genau das passiert, in seinem schier endlosen Versteckte-Kamera-Wackelfilmchen, das man zunächst geneigt ist, als relativ billigen Trick abzutun. Au contraire, der Regisseur hat sich tatsächlich in einem Londoner Restaurant im Financial District versteckt, und die titelgebenden Besucher beim mittäglichen Druckablassen gefilmt. Langweiliger Film, tolle Idee, eventuell hab ich jetzt auch die Pointe schon ausgeplaudert.

Unbedingt sehenswert dafür: Home vom spanischen Toytool Committee. Zwei Mädels aus Valencia, die es sich auf wunderschönen Möbeln wunderschön machen. Tatsächlich der einzige Beitrag der Short Film Competition, der auch zur Anregung, nicht nur zur Subversion oder Unterhaltung konzipiert ist – ich lasse mich diesbezüglich aber auch jederzeit von Pinocciofetischisten in wilde Debatten verwickeln, wenns sein muss.

Schon jetzt der heimliche Sieger der Herzen: Jan Soldat mit seinem Berlinalebeitrag „Zucht und Ordnung“, in dem er zwei brummelige schwule Berliner beim BDSM vor Gelsenkirchener Barock portraitiert. Wie der lebensgroße Porzellan-Collie stummer Zeitzeuge von zweckentfremdeten Wäscheklammern und Elektrofliegenklatschen wird, und immer mal wieder einer aufs Klo muss, weil nackig halt auch die Füße so schnell kalt werden, ist in seiner Poesie wirklich kaum in Worte zu fassen.

Erstes Highlight von Tag 2: Cabaret Desire, der neue Film von Erika Lust. In ihrem vierten Film vereint Frau Lust gekonnt Storytelling mit saftigen Sexszenen und mischt ein paar feministische Botschaften unter. „Fuck everything to be labeled and classified“, damn right, Erika! Besonders positiv fällt ihre Abkehr von den allzu hochglanzigen Darstellern auf. Auch für den schmächtigen Intellektuellen, die dralle Blonde und das ein oder andere Hämatom ist in Cabaret Desire Platz, und macht das ganze wesentlich greifbarer – auch wenn man natürlich meckern könnte und anmerken, dass sich die Sexszenen im Ablauf wenig unterscheiden. Aber wie die charismatische Frau Lust im anschließenden Publikumsgespräch erzählt: es entstammt alles ihrer Fantasie. Und genau das macht Pornofilmkritik auch so schwierig: klar kann man an der Technik rummäkeln – aber an Fantasien?

Die Gedanken sind frei und viele der Filme werden in den kommenden Tagen wiederholt
– ich freue mich erstmal auf die „After Pornified“-Lesung um 8 und den Filmmaker in Focus Abend mit Mor Vital. Kommt auch, freut euch mit!


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Häppchenweise – jetzt mit noch mehr Feigenblatt

Das Feigenblatt ist ja bekanntlich der Ort, an dem die ganz großen Stars gemacht werden. Und wer von euch das letzte Heft gekauft oder ab und an hier im Blog mitgelesen hat, erinnert sich sicher an die bezaubernde, hinreißende, mutige großartige Franzi, die mit ihrem Diplomarbeitsprojekt „Meine Lust mach ich mir selbst“ nicht nur sich selbst, sondern auch allen anderen, die es wissen wollen, ganz großartige Einsichten beschert. Ob Bondage, Crossdessing oder halbnackt im Feigenblatt posieren – Franzi hat die Eier(stöcke), die Dinge einfach zu machen, bei denen unsereins sich „wär schon cool“ denkt und wieder zurück vor den Fernseher kriecht. So war es fast klar, dass sie Häppchenweise für eine gute Idee halten würde – dass sie jetzt auch im Film mitspielt, macht mich natürlich stolz wie sonstwas. Ein Grund mehr, dem Crowdfunding-Projekt euer gesammeltes Taschengeld zu vermachen – einmal spenden bitte, HIER!

Wer will noch mal, wer hat noch nicht? Häppchenweise sucht noch nach einem hübschen Mann, der eher auf Jungs steht.

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häppchenweise. Ein postpornografisches Filmprojekt. (www.haeppchenweise.net)

!!!! Wir suchen noch einen männlichen bi- oder homosexuellen Protagonisten !!!

Es wird nur einen Drehtag geben (25.08.), einen Abend, leckeres Essen und 5 weitere bezaubernde Menschen. Wenn du zwischen 20 und 35 bist, dich mit der kleinen Philosophie auf unserer Internetseite identifizieren kannst, dann mach mit!

Wenn Du Interesse hast, sende uns einfach ein paar Infos über dich und 2-3 Fotos an folgende Mailadresse: mail@haeppchenweise.net


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Vögel- und jugendfrei

Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien hat sich eine Bestseller-Autorin vorgenommen: Sophie Andreskys „Vögelfrei“ stand zur Debatte. Der Pornoanwalt hat das Sitzungsprotokoll veröffentlicht. Interessante Lektüre.
Eine 12-köpfige Jury, der unter anderem Jugendhelfer und Kirchenvertreter angehören, diskutierte darüber, ob der Roman pornografisch (also schwer jugendgefährdend) oder einfach jugendgefährdend sei. Dabei gab man sich Mühe – das Protokoll ist immerhin zehn Seiten lang.
Zuerst kam der Beschuldigte zu Wort. In seiner Verteidigung behauptet der Verlag (Heyne / Random House) allen Ernstes, Erotikliteratur sei eine „Männerdomäne“ (das war sie vielleicht vor dreißig Jahren), der Andresky eine „eigene weibliche Perspektive“ entgegensetze. Anders gesagt: männliche Sexfantasie bäh, weibliche Sexfantasie toll. Gegen die Einschätzung als Pornografie spreche, dass die Protagonistin in den sexuellen Ausschweifungen keine Erfüllung findet – vielleicht ist das die Erklärung, warum Sex in der deutschen Belletristik meistens so deprimierend ist. Oh, auf Seite 5 wird aus unserer Rezension zitiert! Nebenbei erfahren wir, dass Heyne stattliche 100.000 Exemplare des Romans unter die Leute gebracht hat.
Letztlich stufte die BPjM das Buch trotz seiner durchaus derben und stimulierend gemeinten Stellen nicht als pornografisch ein, weil es auch eine ernstzunehmende Handlung mit Zwischenmenschlichkeit und Reflexionen enthält. Da weder die Hauptfigur noch ihre zahlreichen Beschäler als bloße Sexobjekte dargestellt sind, liegt auch keine einfache Jugendgefährdung vor. „Das Gremium hat insbesondere die Kapitel ‚Leo‘ und ‚Gemma‘ länger diskutiert, weil darin u.a. sadomasochistische Handlungen beschrieben werden“, doch zum Glück empfindet die Hauptfigur diese „nicht als schön“.
Jugendgefährdend ist „Vögelfrei“ nicht, aber jugendbeeinträchtigend – was die Prüfstelle allerdings nichts angeht: „Insbesondere obliegt es daher im Bereich der Printmedien Eltern und anderen Erziehenden, solche Inhalte entsprechenden Altersgruppen nicht zugänglich zu machen.“ Tatsächlich: Auf Jugendliche, die nur Online-Pornos kennen, könnte so ein Roman verstörend wirken.


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Häppchenweise guter Sex

Kinders, was hab ich mich heut schon gefreut. Während vor mittlerweile rund einem Jahr Jungregisseur Sergej Moya mit seinem Projekt Hotel Desire Crowdfunding-Geschichte schrieb, macht sich nun eine unerschrockene kluge Frau daran, das Wesen unserer Sexualität zu ergründen. Regisseurin Maike Brochhaus ist hauptberuflich Lehrbeauftragte der Kunstwissenschaft und promoviert gerade über BruceLaBruce, ihr postpornographisches Experiment Häppchenweise finden auch unsere Homies vom Porn Film Festival Berlin spitze und wir schließen uns da ganz umgehend an. Das Konzept ist schnell erklärt:

Sechs Menschen, ein Raum, ein Abend, ein Essen, viel Sinnliches und vieles zu Entdecken. Ein Film der zeigt wie Körper und Gemüter sich begegnen können, wenn man sie nur lässt …

Aber bitte, seh´n Sie selbst!

Nom nom nom. Die flotte Rothaarige aus der Badewanne wurde inzwischen zwar von der Liebe befallen und wird ihre Stiefelettchen nur noch privat beim Plantschen tragen, doch auch der Rest vom Cast kann sich ja wirklich sehen lassen. Hohe Schnauzerdichte! I like! So, und nun noch ein bisschen Theorie:

PostPorn ist gleichsam Nutzung und Verwerfung von Industriestandards. Nutzbar ist sicherlich die technischmediale Weiterentwicklung, die Demokratisierung der Verbreitungswege und Gewinnung darstellerischer Freiheit durch und über das Internet. Industriestandards meinen aber auch beschränkte Bilder von Körperlichkeit und Sexualität, die sich über viele Jahre hinweg zu einem weiten, ebenfalls schwer definierbaren Feld der Mainstreampornografie gefestigt haben. Postpornografische Darstellungsformen positionieren sich dazu bewusst als Gegenentwürfe und emanzipieren sich über eine standardisierte Darstellungslogik.

Jawollja. Hieß bei Sergej Moya letztes Jahr noch PorNeographie, im Filmsonderheft lief das ganze unter Indie Porn, und ich bin mir sicher, dass auch Franzi dazu noch etwa 200 gute Bezeichnungen einfallen würden. So viel lässt sich wahrscheinlich schon jetzt vorhersagen: es wird gut, es wird klug, es wird neu, es wird anders. Und wahrscheinlich wird uns allen auch ein bisschen heiß dabei.

Damit die gute Idee auch klappt, braucht Frau Brochhaus nun unser Geld. Im Gegenzug dafür können wir uns, je nach Höhe des Spendenbeitrags, mehr oder weniger ins Geschehen einmischen, etwa eine Flaschendreh-Frage für den Film ausdenken, eine Requisite vom Set bekommen, namentlich im Abspann erwähnt werden, und so weiter und sofort. Für schon 15 Euro gibt´s den fertigen Film zum selberdownloaden. Also einmal Kino mit Popcorn. So viel sollte uns die sexuelle Gegendarstellung doch allemal wert sein, oder?

Spenden geht noch bis 2.August. Supporter werden: check!

Am 27. Juni 2012 von Theresa Lachner · Kategorien : Pornös


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Lernpornos?

Neulich hat mich Franzi für ihre Diplomarbeit „Meine Lust mach ich mir selbst. Mediale Möglichkeitsräume für eine kontroverse Auseinandersetzung mit selbstbestimmter Sexualität. Historische Blicke. Postmoderne Labore“ interviewt.

In dieser Frage ging es, glaub ich, um den didaktischen Gehalt von Pornographie – ein Thema, das mich nicht erst seit dem Filmsonderheft sehr beschäftigt.

(Klick dann groß. Eh klar.)

Was meint ihr? Kann gute Pornographie einen derartigen „Nachahmereffekt“ erzielen, dass unser sexuelles Bewusstsein sich ein Stück weit wandelt? Inwieweit?
Ist das sogar ihre Aufgabe, oder ist dieser didaktische Anspruch schon wieder sowas von unsexy, dass man ihn gleich wieder fallen lassen sollte?
Kann man zu gutem Sex erziehen? Wieviel Realismus braucht gute Pornographie?
Und wie muss ein Porno gemacht sein, der mehr als die reine Triebebene anspricht?

Am 5. April 2012 von Theresa Lachner · Kategorien : Pornös


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Porn Film Festival 2011 – Nachlese

Bekanntlich lebt der Mensch ja vom Porno nicht allein, deswegen habe ich es mir das restliche Wochenende nicht ganz so hardcore gegeben wie an Tag Eins – dafür war ich Freitag noch beim DIY FEMINIST PORN WORKSHOP der wunderbaren Jennifer Lyon Bell, die ich auch für meine Diplomarbeit interviewen durfte – dazu aber an anderer Stelle mehr.

Die Gay Porn-Kurzfilme am Freitagnachmittag fand ich persönlich eher durchwachsen, aber MATES von Antonio da Silva bleibt im Gedächtnis: schnelle Liebe, schnell geschnitten, Fuck and Go im Web 2.0. Im Anschluss gab es MADAME X: eine indonesische Komödie um eine transsexuelle Superheldin, die mit den Waffen einer Frau mit Homophobie aufräumt – bunt und flippig, aber mit ernsten Untertönen. Regisseur Lucky Kuswandi hat fast ebensoviel Charme wie sein Film, in seinem nächsten Projekt sollen ein paar Senioren einen Kriminalfall lösen – die gehen in Indonesien nämlich viel zu selten ins Kino, erzählt er.

Am Samstag wurde es lekker: über Willem van Batenburg hat sich ja Herbert schon hier ausgelassen, ich habe mir anschließend INDIETRO angeschaut und war begeistert. Wie der Titel verspricht, wird die Story in „Memento“-Manier rückwärts erzählt – in superschicker „Eyes Wide Shut“-Optik lotet ein gelangweiltes Paar seine Grenzen aus, und nicht nur BDSM-Königin Madison Young, sondern auch ihr Gegenpart William van Noland schaffen es, tatsächlich auch schauspielerisch zu überzeugen. Kaufen Sie, schauen Sie! Ein absolutes Highlight.

Danach ging es mit der Spannungskurve bei mir leider etwas bergab: von „Inside Flesh“, den „Filmmakern in Focus“ an diesem Abend, hatte ich bis jetzt nur einen Kurzfilm gesehen, der Plot in etwa: lethargische-ausgemergelte Emofrau lässt sich zu Industrialsound von Latexmonster mit Riesenschwengel schänden. Mensch, mal schauen was da noch kommt, dachte ich mir, und siehe da: lethargisch-ausgemergelte Emofrauen ließen sich zu Industrialsound von Latexmonster mit Riesenschwengel schänden! Nach der gefühlt siebzehnten Variation of the Same thing muss ich wohl irgendwie auf dem Gesicht meines Liebsten eingenickt sein und vor dem letzten Film schlagartig den Saal verlassen haben, falls da also noch irgendwas spannendes passiert ist, ab in die Kommentare damit! So kam es dann, dass mir die „New Tokyo Decadence-The Slave“ entging – das Original „durfte“ ich ja schon für unser wunderbares Filmsonderheft rezensieren, was mir eigentlich, ehm, auch schon gereicht hat.

Am Sonntag soll man sich ja bekanntlich höherem zuwenden, deswegen stand ART PORN auf dem Programm. War nicht alles super, aber die MOTHER OF PEARL von Ewelina Aleksandrowicz, in der Unterleib und Oktopus sich romantisch begegnen, sowie die LITTLE DEATHS von Ruth Lingford, einem Animationsfilm, der versucht, Orgasmen zu visualisieren, sind mir nachhaltig in Erinnerung geblieben.

Zum Abschluss gabs für mich N´SCHOT IN DE ROOS, den zweiten Langspielfilm von Willem van Batenburg. Mir hatte schon PRUMENBLOESEM am Tag zuvor sehr gut gefallen, und auch hier ist das Zusammenspiel von cheeky „Story“ (eine Frau wird von ihrem Ehemann „ausgetrickst“, doch mal mit einem anderen zu vögeln, durchschaut seinen perfiden Plan und rächt sich mit halb Amsterdam), flotten Retrohipsterdarstellern und doppelt lustigen Dialogen („jooo jooo, dat isch feiin!“ oder so, liebevoll untertitelt von Jennifer Lyon Bell) gut aufgegangen. Dass Willem van Batenburgs Karriere als Pornoregisseur nach diesem Film von 1983 ein abruptes Ende fand, hat einen eher traurigen Grund: Aids kam auf, und niemand wusste so recht, was das ist, und wie man damit umzugehen hat. Inzwischen schreibt er erotische Kurzgeschichten.
Hauptdarstellerin Diana de Koning, die gemeinsam mit dem Regisseur anwesend war, sieht immer noch top aus und beschreibt die Dreharbeiten im Publikumsgespräch als „väry nice föcking“ – so oder so ähnlich kommt das in den Filmen auch rüber, auf jeden Fall bedenkenlos für den Heimgebrauch geeignet und in Holland angeblich inzwischen allgemeingültig-cineastisches Kulturgut.

Eine Erfolgsgeschichte, die sich auch auf das Festival übertragen lässt: mal wieder wurden alle Besucherrekorde gebrochen, und das zu recht, wie ich finde, denn nirgendwo sonst gibt es so viel Raum für Schräg-Experimentell-Abstruses, und immer mal zwischendrin: absolut Großartiges. Ich freu mich sehr aufs nächste Jahr!