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Autorinnen-Interviews, Folge 1: Corinna Rückert

Für meinen Artikel „Verklemmtes Weltbild“ im aktuellen Feigenblatt „Mit Haut und Haar“ (Seite 81) habe ich Interviews mit drei Autorinnen erotischer Literatur geführt. Weil Corinna Rückert, Inka Loreen Minden und Anna Blumbach viel Interessantes zu erzählen hatten und der Platz im Heft begrenzt ist, veröffentlichen wir die kompletten Interviews auf der Website. Den Anfang macht Dr. Corinna Rückert, die bei Rowohlt veröffentlicht (zuletzt erschien der Doppelband „Gestohlene Lust / Kammern der Begierde„). Ihren ungewöhnlichen Werdegang zur Erotikautorin erzählt sie gleich selbst.

Corinna Rückert: Gestohlene Lust / Kammern der BegierdeWie sind Sie dazu gekommen, erotische Romane zu schreiben?
Per Zufall. Für meine Dissertation zum Thema „Frauen-Pornografie“ habe ich als Selbstexperiment eine pornografische Geschichte geschrieben, um zu sehen, ob sich in meiner Sprache auch die typischen Elemente und Darstellungsweisen der FrauenPornografie finden. Das Ergebnis war eindeutig JA. Als ich die Doktorarbeit dann für eine Veröffentlichung bei Rowohlt überarbeitet habe, bekam ich die Anfrage, ob ich noch mehr von solchen Stories schreiben könnte. Ich hab’s versucht und es hat funktioniert. So ist die erste Kurzgeschichten-Sammlung „Lustschreie“ entstanden, die prompt ein Bestseller wurde.
Sie sind ja eine der erfolgreichsten Autorinnen erotischer Romane – und eine der wenigen, die unter ihrem bürgerlichen Namen publizieren. Haben Sie mit dieser Offenheit auch schlechte Erfahrungen gemacht?
Nein, bisher überhaupt nicht. Wenn es mal vorkommt, dass mich jemand mit der Erotik-Autorin in Verbindung bringt, dann ist sie/er eher positiv überrascht. Unter meinem Namen zu publizieren, war damals eine bewusste Entscheidung gegen die ganze Bigotterie, die sich im Umgang mit dem Thema „Pornografie“ findet. Ich wollte ein Statement setzen, weil ich es gerade für die Auseinandersetzung mit der weiblichen sexuellen Identität wichtig finde, sich auch mit den eigenen sexuellen Phantasien zu befassen. Deshalb trete ich in der Öffentlichkeit für eine offene und freie Diskussion ein, für die ich als Person auch selbst einstehe.
Aber aus anderem Grunde hätte ich mir trotzdem manchmal gewünscht, die Bücher wären unter Pseudonym erschienen … Ich werde als Autorin auf dieses Genre reduziert. Heute z.B. ein Kinderbuch unter meinem Namen zu veröffentlichen (und ich habe tatsächlich eines in der Schublade), das ist schwierig. Da ist sie wieder, die Bigotterie.
Gibt es für Sie eine Grenze zwischen erotischer und pornografischer Literatur – und auf welche Seite würden Sie Ihre Bücher stellen?
Rein definitorisch ist das ganz einfach: Erotik lässt das Sexuelle, Erregende aufblitzen, ohne es im Detail zu beschreiben. Pornografie nennt die Dinge beim Namen, bis in alle Details des Geschlechtlichen und darf erst ab 18 Jahren konsumiert werden.
In der Umgangssprache meint erotisch aber häufig das Schöne, Zarte, Ästhetische, während mit Pornografie häufig abwertend die krasse, schmutzige und reduzierte Darstellung des Sexuellen bezeichnet wird.
Als Genre sind meine Bücher keine Erotik-Romane, sondern echte Hardcore, weil sie bei der Beschreibung der sexuellen Phantasien kein Blatt vor den Mund nehmen. Da ich mich aber aus Überzeugung und aus ästhetischen Gründen für einen wohldosierten Einsatz der Umgangssprache entschieden habe und lieber Metaphern (Bildsprache) und euphemistische (also beschönigende) Beschreibungen einsetze, würde ich selbst meine Bücher als erotische Pornografie bezeichnen.
Aber dem Begriff Pornografie lastet eben immer ein Hauch von Schund und Schmutz an, weswegen die Verlage das im Zusammenhang mit Literatur gern umgehen. In den Buchhandlungen gibt es also nur Erotik-Literatur, von der manche eben ausschließlich an Erwachsene verkauft werden darf.
Wo setzen Sie die Grenzen bei dem, was Sie beschreiben?
In der literarischen Phantasie ist grundsätzlich alles erlaubt, weil niemand dadurch persönlich zu Schaden kommen kann. Insofern bietet sich die Literatur an, um sich auch mit Tabuthemen auseinander zu setzen.
In meinen Geschichten gibt es selten aber immerhin auch einige Grenzüberschreitungen, das Spiel mit Dominanz und Unterwerfung kommt vor. In den „Lustschreien“ ist sogar ein Krimi enthalten, in dem Sex und Gewalt verbunden sind. Aber diese Varianten sind für mich eher Experimente, weil mich interessiert, ob und wie eine Geschichte funktionieren kann, die sich vom Mainstream wegbewegt.
Inzwischen schreibe ich das siebte Buch für Rowohlt und dabei habe ich festgestellt, dass es in mir keine Abgründe gibt, die sich in Erotik-Pornos verwandeln ließen. In meinen Geschichten vermischt sich Erlebtes mit eigenen und berichteten Phantasien und fügt sich meist zu harmlosen, aber offensichtlich sehr anregenden sexuellen Begegnungen zwischen Menschen wie Du und ich zusammen.
Sie haben sich als Wissenschaftlerin mit der Sexbranche beschäftigt. Vermitteln Ihre Romane jenseits der erotischen Unterhaltung eine Botschaft?
Meine ersten Bücher sind tatsächlich auf der Basis meiner Erkenntnisse entstanden und weil ich zeigen wollte, dass Pornografie sehr viel mehr ist als billige Porno-Filmchen, die es damals noch vor allem in den Videotheken gab. Und ich wollte dazu beitragen, dass Frauen sich das Genre Pornografie für ihre eigenen Phantasien erobern, weswegen ich auch als Jurorin beim First Feminist Porn Award aktiv bin.
Inzwischen haben meine Bücher aber ein eigenes Thema gefunden. Sie setzen sich mit den Fragen auseinander „Was ist guter Sex?“ und „Wie wird Mann ein guter Liebhaber?“ oder „Wie finde ich meine eigenen Phantasien und Gelüste?“ In meinen Büchern versuche ich Anregungen und mögliche Antworten zu geben. „Kammern der Begierde“ kann in diesem Sinne fast als Lehrbuch bezeichnet werden, in dem sich eine junge Frau und ein junger Mann auf die Suche nach ihrer gemeinsamen Lust begeben.
In meinem neuen Buch „Kreuzfahrt der Lust“ geht es um ein Ehepaar, welches versucht, die Lust und Erotik in einer langjährigen Partnerschaft neu zu entdecken.
Manche Autorinnen, die nach Ihnen angefangen haben, verwenden den Begriff „feministische Pornografie“. Können Sie damit etwas anfangen?
Ja! Diesen Begriff verwenden wir ja auch für unseren Porn Award. Durch die vielen Debatten um Pornografie, die PorNo-Kampagnen der 1970er und 1980er Jahre und die (auch) feministischen Debatten um ein erneutes Verbot der Pornografie hat es inzwischen eine Gegenbewegung unter Feministinnen gegeben, die sich für eine Sex-positive Pornografie stark machen. Mit dem Begriff „feministische Pornografie“ soll deutlich gemacht werden, dass ich als Frau für meine Rechte kämpfen und trotzdem als Pornografin arbeiten kann. Und es soll verdeutlicht werden, dass es verschiedene Formen von Pornografie gibt. Die Mainstream-Pornografie richtet sich vor allem an männliche Konsumenten und nutzt dafür bestimmte wiederkehrende Inhalte und Darstellungsweisen. Davon will sich die feministische Pornografie ganz klar abgrenzen mit eigenen Sprach- und Bildwelten und der Umsetzung vor allem weiblicher sexueller Phantasien.
Haben Sie das Gefühl, dass erotische Literatur auf dem Buchmarkt als Schmuddelkind gilt?
Schauen sie sich doch mal die schönen Buchcover und die vielfältige Titelauswahl der Verlage an. Erotik-Literatur ist ein anerkanntes Genre, das sich an eine weit gestreute Leserschaft richtet. Aber es ist auch ein Nischenprodukt, weil die Auflagenhöhen selten Belletristik-Zahlen erreichen.
Ich habe den Eindruck, dass sich deutsche Belletristik-Autoren selten lustbetont mit Sex auseinandersetzen und dieses Thema komplett in ein „Erotik“-Genre abgeschoben wird. Sehen Sie das auch so – und woran könnte das liegen?
Da haben Sie Recht. Es scheint eine Unterscheidung zwischen erotischer Gebrauchsliteratur, die allein der Anregung dient, und einer Literatur zu geben, die sich pornografischer Mittel und Versatzstücke bedient, um zu provozieren (wie z.B. Charlotte Roches „Feuchtgebiete“). Obwohl sich schon viel bewegt hat seit der Freigabe von Pornografie, ist und bleibt diese ein Tabuthema, mit dem sich die Gemüter reizen lassen.
Charlotte Roche hat selbst über sich gesagt, dass sie sich nicht als Schriftstellerin sieht, weil sie „nur“ in ihrer einfach strukturierten Sprache eine Geschichte über Tabubrüche erzählt hat. Da hat sie wahrscheinlich Recht, aber es ist interessant, dass über zwei Millionen Menschen ein solches literarisch nicht besonders bemerkenswertes Buch gelesen haben. Der Grund ist sicher, dass sich hier die Leserinnen und Leser mit ihrer Lust am pornografischen hinter einem pseudoliterarischen Anspruch verstecken konnten und sich somit nicht als Porno-Konsumenten outen mussten. Das geht nur, solange die Worte „Skandal“ und Tabubruch“ durch die Presse geistern. Mit einer lustbetonten, sex-positiven Literatur funktioniert das nicht. Da müssen sich die Käuferinnen und Käufer schon zu ihrer Lust auf die Lust bekennen.
Wer sind Ihre Leser? Gibt es da Rückmeldungen?
Statistiken besagen, dass etwa 60 Prozent der Konsumenten von Erotik-Literatur Frauen sind. Tatsächlich habe ich viele Rückmeldungen von Frauen bekommen, denen meine Bücher eine neue Sicht auf ihre sexuellen Phantasien geliefert haben oder die in diesen Bücher für sich eine eigene Sprache für ihre Phantasien gefunden haben.
Aber es gibt auch viele Männer, die meine Geschichten gern lesen und sehr anregend finden. Allen voran mein eigener Mann …
Was gefällt Ihnen als Leserin erotischer Literatur – und was lehnen Sie ab?
Ich persönlich bin ganz und gar einverstanden damit, dass erotische Literatur anregen und erregen soll, eine Vorlage sein darf für’s Masturbieren oder eine Erweiterung für die eigenen Bilder im Kopf liefert. Wenn dabei noch eine Geschichte erzählt wird und die Sprache intelligent ist, dann gefällt mir das. Ich hoffe, dass meine Bücher diesem Anspruch selbst auch standhalten.dt329

Autor: Herbert Braun

Mitherausgeber des Feigenblatt Magazin und sowas wie der Chefredakteur.

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