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50 Shades of What the Fuck

Sind jetzt dann bitte bald sämtliche gierigen Sommerlöcher gestopft?

Ist „50 Shades of Grey“ das neue Urheberrechtsgesetz? So langsam, scheint es, gibt es wirklich niemanden mehr, der sich dazu noch nicht in irgendeiner Form geäußert hat – und besonders gern scheinen das die zu tun (und da nehme ich auch meinen hochverehrten Vorgesetzten, seines Zeichens Feigenblatt – Chefredakteur Herbert Braun nicht aus), die das Buch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch nicht mal gelesen haben.

Und auch mir erscheint es inzwischen fast ein bisschen zu banal und inzwischen hinfällig hier einfach nur eine Kritik des Buches abzuliefern. Denn dass es unterirdisch mies geschrieben ist und die Hauptpersonen ab Seite eins so sehr nerven, dass auch ich beim Lesen mehrfach kurz davor war, wahlweise mein Tablet oder den Kopf gegen die Wand zu schlagen, dürfte ebenso zum Allgemeinplatz geworden sein wie die generelle „Kunst oder Wichsvorlage“-Debatte darüber, was „erotische“ „Literatur“ „darf“, „kann“ oder „muss“. (Oder um´s in den Worten der Grazia zu sagen: Sind Pornos das neue Pilates? (Wenn ja, solltet ihr mal mein Powerhouse sehen. Nicht. ))

Warum ist genau das jetzt nur so irre erfolgreich? Heißt das, dass die Frauen jetzt reihum alle ein bisschen mehr vermöbelt werden wollen? Wenn Analverkehr der Blowjob der Nullerjahre und den Achtzigern ihr Dreier war, stehen dann die Zehnerjahre gänzlich im Zeichen von Zuckerbrot und Peitsche? Arschversohlen gegen die Krise, wir hatten ja nix, aber immerhin Schmerzen dabei? Wenn sich also „die Frauen“ wie so gern überall heraufbeschworen, „ihre Lust“ „zurückerobern“, ist es also das, wie sie´s dann haben wollen?

So wird sich an wirklich jeder Straßenecke ausführlich aufgeregt über das für und wider, ja und nein, von sexueller Befreiung und dem Drang nach Unterwerfung geredet, BDSM als konsequent-moderner Beziehungsform, und einem gesamtgesellschaftlichen Anspruch, es wird gelästert, ob „man das jetzt muss“, seiner Frau ein Tschibo-Hundegeschirr umschnallen weil die anders nicht mehr kann, es wird sich wieder über das Geläster aufgeregt, weil derjenige BDSM wohl einfach nur nicht verstanden hat, und so geht es eigentlich nur noch höchst peripher um das Buch selbst.

Dabei übersehen tragischerweise dann auch die meisten den für jegliche sinnvolle Auseinandersetzung wesentlichen Punkt: mit einer authentischen BDSM-Beziehung hat „50 Shades of Grey“ schätzungsweise genauso viel zu tun wie Kochschokolade mit Tartufo.

Denn der Spaß beim BDSM besteht im Rollenspiel, nicht im konstanten Eindreschen auf immer dieselben Rollen, die dann im Bett nur noch vertieft werden. Denn Hauptfigur Anastasia ist nicht einfach nur „Sub“ – sie ist das fleischgewordene, personifizierte Opferweib.

Mit 21 noch Jungfrau, stolpert sie selbstbewusstseinsfrei von einem Fettnäpfchen ins nächste, um von ihrem „Dom“ künftig permanent ordentlich runtergeputzt zu werden – dieser befiehlt der ganz offenkundig magersüchtigen Ana (bin ich hier eigentlich die einzige, die die Referenz sieht? Und was ist mit Christians überbordend fröhlicher Schwester Mia, die in Frankreich Köchin wird?) nach kurzem hin und her nicht nur, wann sie was zu essen hat, sondern legt auch klare Regeln für Kleidung, Verhütungsmethode und „sauber“ gewaxter Intimzone vor.

Und genau da liegt vielleicht der perverse Reiz der Beziehung, der Grund, warum das als „Mommy Porn“ verschriene Werk genau bei denen so erfolgreich ist: endlich ist da mal einer, der sich kümmert. Der einem das täglich – lästige Einerlei der weiblichen Existenz abnimmt, und endlich mal sagt, was zu tun ist.

Dass er dafür Privatdetektive engagiert, ihr ungefragt durchs halbe Land nachreist, ihr verbietet zu masturbieren und sie mit einer elektronischen Fußfessel namens Macbook und Blackberry zur Dauerkonversation zwingt – drauf geschissen.

Denn Ana ist unser Frauenzeitschriften – Ich: Auslage in Arbeit. Man kann sich mit ihr identifizieren, weil klar, was peinliches ist mir auch schon mal passiert. Und sie lebt die Erfüllung unseres wildesten Pubertätstraums: Oh, der Typ aus der Oberstufe ist echt superkrass – und dann will er auf einmal was von mir!!!!!! Und dann behauptet er zwar, dass es nur um das Eine geht – und plötzlich – liebt er mich doch!!!!

Anas Beziehungsverhalten ist „He´s just not that into you“ rückwärts – sie benimmt sich einfach mal per Telekommunikation wie ein retardiertes Kleinkind, und anstatt nie wieder zurückzurufen, sitzt der Übermann plötzlich besorgt auf ihrer Bettkante. Und das ist die eigentliche Fantasie, die E.L. James hier erfüllt.

Denn der in „50 Shades of Grey“ dargestellte Sex ist weder irre aufregend noch besonders schockierend – höchstens schockierend blöde. Oder wie Petra Joy es formuliert hat: Es ist […] ein extrem rückständiges, antifeministisches Buch. Die Figur des jungen Unternehmers, der als Kind missbraucht wurde und jetzt nur SM-Sex praktizieren will, unterstützt eine höchst konservative These: dass alle Menschen, die mit SM-Sex experimentieren, irgendwie psychisch geschädigt sind. Schockierend daran finde ich nicht den soften SM-Sex, sondern das unreflektierte Wiederkäuen veralteter Rollenklischees.

Gut gebrüllt, Petra! Diverse amerikanische Experten können das übrigens bestätigen und das Klischee von der finster-missbrauchten Prügelsubkultur ebenfalls wissenschaftlich widerlegen.

Ein befreiendes Buch? Nicht so sehr. Wenn Erotik dort anfängt, wo man tatsächlich nicht nur seinen Körper entblößt, sondern auch sein eigenes sexuelles Begehren offenbart, ist bei Pro-Ana (so oder so) nicht mehr viel zu finden. Denn ihre Sexualität ist keine selbstgewählte. Es ist die Sexualität einer verstörten Zwölfjährigen, die alles tun würde, um ihrem in jeder Hinsicht überlegenem Schatzi zu gefallen. Es ist eine selbstverschuldete Unmündigkeit, in die sich Anastasia begibt, und eine Absage an unser verwirrendes lautes Leben, das sie (und alle die sich ein bisschen zu sehr mit ihr identifizieren können) fälschlicherweise als Befreiung abfeiern.

Schon klar: Selbstbestimmung ist kein Zuckerschlecken. Aber wenn das hier unsere sexuelle Revolution sein soll, will ich lieber weiterhin Angst vorm Fliegen haben.